Kinder und Jugendliche besser schützen

Anja Meyer 23.02.2022 Lesedauer 3 Min.

Täglich arbeiten wir mit Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien. Dabei übernimmt der IB eine große Verantwortung: Wir sind dafür verantwortlich, den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden und ihre Rechte zu achten. Es liegt ebenso in unserer Verantwortung Kindeswohlgefährdungen zu erkennen und zu verhindern – egal durch wen sie begangen werden. Im Interview erklärt Beate Gnädinger, Beauftragte für Kinder- und Jugendschutz, wie der IB Berlin-Brandenburg dieser Verantwortung nachkommt.

Frau Gnädinger, ist Kinderschutz in Deutschland rechtlich verankert?

Inzwischen sind Kinderrechte und der Kinderschutz rechtlich breit verankert. Neben der  UN-Kinderrechtskonvention, die seit 2010 ohne Vorbehalte in Deutschland gilt, gibt es die Verankerung im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII Kinder- und Jugendhilfe, seit 2012 zusätzlich gestärkt durch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG). Gemäß dem Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (§ 4 KKG) sind Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, z. B. Schulsozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, verpflichtet, bei gewichtigen Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung die Situation mit dem Kind bzw. dem Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten zu erörtern und ggf. auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken. Ergebnisse aus unterschiedlichen Evaluationsberichten zeigen jedoch, dass weitere Verbesserungen nötig sind – vor allem was die Ressourcen in der Umsetzung angeht. Aus meiner Sicht fehlt bisher auch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.

Beim IB gibt es seit vielen Jahren ein Handbuch mit Leitlinien zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Warum wurde beim IB Berlin-Brandenburg ein erweitertes Schutzkonzept erarbeitet?

Das IB-Handbuch ist sehr umfangreich und beschreibt sehr gut die Position und die Haltung des Internationalen Bundes zum Kinder- und Jugendschutz. Enthalten sind die rechtlichen bundesweiten Grundlagen, Formen der Kindeswohlgefährdung, Handlungsabläufe bei Kindeswohlgefährdung und unsere Träger-Leitlinien.

Eine konzeptionelle Verankerung ist sehr wichtig, aber ohne konkrete praktische Umsetzung, bliebe es „eine interessante Lektüre“. Auf Grundlage des Handbuches gilt es konkrete Maßnahmen in allen Arbeitsfeldern zu entwickeln, die eine Implementierung vor Ort ermöglichen und nachhaltig sichern. Deshalb ist das erweiterte Schutzkonzept entstanden, zugeschnitten auf unsere Einrichtungen in der Region Berlin-Brandenburg unter Berücksichtigung der Landesgesetzgebungen.

››Alle Teams erhalten jährlich eine Belehrung zum Thema Kinder- und Jugendschutz.‹‹

Was sind die Kernpunkte des erweiterten Schutzkonzeptes?

Auch wenn es sich etwas banal anhört – ein Kernpunkt ist die Klärung der Begrifflichkeiten Kinderschutzbeauftragte, Multiplikator*innen für Kinderschutz und Kinderschutzverantwortliche sowie die damit verbundenen Verantwortlichkeiten.
Ein weiterer Kernpunkt sind die konkret definierten Maßnahmen, die es benötigt, damit Kinder-und Jugendschutz verbindlich und nachhaltig in den Einrichtungen umgesetzt werden kann. Den letzten Kernpunkt stellen die Handlungsabläufe dar bezogen auf  Kindeswohlgefährdung des Kindes in der Familie, interne Kindeswohlgefährdung aufgrund von Übergriffen/Gewalthandlungen durch Mitarbeiter*innen sowie Kindeswohlverletzungen zwischen Kindern bzw. zwischen Jugendlichen.

Können Sie konkrete Maßnahmen nennen?

Konkrete Maßnahmen, die für alle Arbeitsfelder gelten, sind beispielsweise, dass alle Mitarbeiter*innen, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten, ein erweitertes Führungszeugnis benötigen, unabhängig ob sie in einer Festanstellung, als Praktikant*in oder im Ehrenamt für den IB tätig sind. Dieses erweiterte Führungszeugnis muss alle drei Jahre erneuert werden. Alle Teams erhalten jährlich eine Belehrung zum Thema Kinder- und Jugendschutz.
Dann gibt es Maßnahmen und Schulungen, die nur für einzelne Arbeitsbereiche Gültigkeit haben. So schulen wir seit 2020 im Bereich der Kitas alle Mitarbeiter*innen teamweise zum Thema Bindungsqualität und Eingewöhnung. Im Anschluss gelten im Arbeitsfeld Kinderförderung und -bildung verbindliche Standards in der Eingewöhnung. Damit sie nachhaltig bleiben, wollen wir ab 2022 einmal jährlich einen Schulungstag für alle neuen pädagogischen Fachkräfte aus Krippe und Kita anbieten. Im Hort oder der Schulsozialarbeit sind es andere Schwerpunktthemen, die eine Schlüsselfunktion im Kinderschutz einnehmen, zum Beispiel die Erarbeitung eines Anti-Mobbing-Konzeptes.

Wie soll das Konzept in den IB-Einrichtungen umgesetzt werden?

Entsprechend der Arbeitsfelder gibt es nicht nur bei den Maßnahmen und Schulungen Unterschiede, sondern auch in der Intensität in der Begleitung durch uns Fachreferentinnen. Daher möchte ich die Frage gerne beispielhaft am Bereich Kinderförderung und -bildung beantworten. In diesem Arbeitsfeld hat der Kinderschutz einen besonders großen Stellenwert. So gibt es für die inzwischen 25 Kindertageseinrichtungen neben dem erweiterten Kinderschutzkonzepts eine eigene Rahmenkonzeption. Diese enthält sehr konkrete Qualitätsstandards für die Risikosituationen Essen, Schlafen und Pflege, die gemeinsam mit den Leitungskräften der Kitas erarbeitet wurden, weiterhin die bereits erwähnten Standards zur Eingewöhnung und eine mit jeder Kita individuell erarbeitete Verhaltensampel. Auf diese Weise bietet die Rahmenkonzeption den Mitarbeiter*innen im ersten Schritt Orientierung und gleichzeitig die Möglichkeit der Selbstevaluation. Im zweiten Schritt vereinbaren die Mitarbeiter*innen, in welcher Weise sie sich gegenseitig Rückmeldung geben bzw. einschreiten werden, sollten sie grenzverletzendes oder übergriffiges Verhalten aufgrund einer unbedachten Handlung oder kurzfristigen Überforderung bei einer/m Kolleg*in erkennen. Der dritte Schritt besteht darin, anhand der erarbeiteten Verhaltensampel mit und für die Kinder ein Kinderbeschwerdemanagement zu entwickeln.

Beate Gnädinger  ist staatlich anerkannte Erzieherin und arbeitete bis 2008 in verschiedenen Einrichtungen. Später übernahm sie Aufgaben im Bereich der Qualitätssicherung und -entwicklung in Kindertagesstätten sowie in der Fachberatung in Kitas. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten ließ sie sich zur erfahrenen Kinderschutzfachkraft (2009), zur zertifizierten infans-Multiplikatorin (2009) und zur zertifizierten Marte Meo Colleague-Trainerin (2017) weiterbilden. Außerdem führt sie seit fast 20 Jahren als freiberufliche Referentin Fortbildungen für Kita-Personal durch. Beim IB Berlin-Brandenburg arbeitet sie seit Januar 2020 als Fachreferentin im Bereich Kinderförderung und -bildung.

Anja Meyer

war als Referentin für Kommunikation und Marketing sowie als Pressesprecherin beim IB Berlin-Brandenburg tätig. In dieser Funktion kümmerte sie sich um die…

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