Josepha und Steffen sind zwei von mittlerweile elf Teilnehmenden des neuen Angebots "Mensch & Teilhabe" in Frankfurt (Oder). Das besondere an der Maßnahme ist: Sie bietet eine Alternative zu den Behindertenwerkstätten und ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigung ein Wahlrecht bei der beruflichen Entwicklung. Bei einem Besuch an ihrem Arbeitsort erzählen Josepha und Steffen, warum sie froh sind, diese Möglichkeit beim IB zu haben.
Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) waren jahrzehntelang alternativlos. Inklusion und Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt blieb vielen Betroffenen verwehrt und allenfalls ein Wunschtraum. Mit dem 2017 in Kraft getretenen Bundesteilhabegesetz (BTHG) sollten die Rechte von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden, so auch bei der Teilnahme am Arbeitsleben. Dafür wurde der Paragraf §60 SGB IX Andere Leistungsanbieter geschaffen. Demnach müssen Menschen mit Beeinträchtigung nicht in einer Werkstatt arbeiten, sondern sie haben ein Wunsch- und Wahlrecht und können somit auch bei einem anderen Leistungsanbieter beschäftigt werden. In Brandenburg bietet der Internationale Bund als bisher einziger Träger der Beruflichen Bildung und Eingliederungshilfe ein solches Angebot unter dem Namen „Mensch & Teilhabe – Eine Alternative zur Behindertenwerkstatt“ in Neuenhagen bei Berlin und in Frankfurt (Oder) an. Von diesem Angebot profitieren auch Josepha und Steffen. Beide waren zuvor schon beim IB in einer anderen Maßnahme der beruflichen Rehabilitation und konnten deshalb sehr schnell wechseln.
››Ohne den IB wäre ich in einer Behindertenwerkstatt.‹‹
Steffen hat eine Ausbildung als Fachpraktiker für Bürokommunikation beim Oberlin Berufsbildungswerk in Potsdam gemacht. Er sitzt im Rollstuhl und ist aufgrund seiner Behinderung in seinen motorischen Fähigkeiten eingeschränkt. Deshalb arbeitet er langsamer. Trotz seines erfolgreichen IHK-Abschlusses kam Steffen nach der Ausbildung „nie in Arbeit“. Der häufigste Grund, warum er keine Anstellung erhielt, war die fehlende Barrierefreiheit in den Unternehmen und möglicherweise auch die fehlenden Erfahrungen im Umgang mit seinen besonderen Bedürfnissen. Die Arbeitsagentur vermittelte Steffen deshalb zum IB. Er ist froh, eine passende Beschäftigung beim IB Berlin-Brandenburg in Frankfurt (Oder) gefunden zu haben, der ihn auf die Anforderungen des regulären Arbeitsmarktes vorbereitet. Denn für Steffen ist klar: „Ich will nicht in einer Werkstatt arbeiten“, sagt er ganz entschieden und selbstbestimmt. Dort würde er sich mit seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten nicht richtig aufgehoben fühlen. Sein Ziel ist, nach Abschluss der 27-monatigen Maßnahme eine Stelle in einem Unternehmen zu finden.
Auch Josepha kann eine Berufsausbildung vorweisen, die sie trotz zwischenzeitlicher Schwangerschaft und Elternzeit abgeschlossen hat. Die Reha-Ausbildung zur Fachpraktikerin Küche (Beiköchin) und ihr Betriebspraktikum absolvierte sie an der Viadrina Universität in Frankfurt (Oder). Nach der Ausbildung und einem Mini-Job kam ihre berufliche Entwicklung ins Stocken, weil sie immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Sie erklärt es so: „Es stresst mich, wenn zu viel los ist. Deshalb war ich öfters krank.“ Auch in Josephas Fall vermittelte die Arbeitsagentur und sie kam in eine Reha-Maßnahme des IB. Darüber ist die junge Frau heute sehr froh, denn: „Ohne den IB wäre ich in der Behindertenwerkstatt.“, ist sich Josepha sicher. Mittlerweile konnte sie – genau wie Steffen – in die neue §60 SGB IX-Maßnahme „Mensch & Teilhabe“ wechseln, die sie im kommenden Jahr abschließen wird.
Das Angebot „Mensch & Teilhabe“ ist dreistufig aufgebaut und läuft über insgesamt 27 Monate. Begleitet und beraten werden die Teilnehmenden während der gesamten Zeit von erfahrenen Fachkräften mit rehabilitationspädagogischer Qualifizierung. Dazu zählen Bildungsbegleiter*innen wie Bernd Heinrich und Mirko Hellwig sowie Sozialpädagogen*Sozialpädagoginnen und Psychologen*Psychologinnen. Sie arbeiten immer im Team und schreiben gemeinsam ihre Einschätzung.
Die erste Stufe ist das Eingangsverfahren, welches drei Monate dauert. In dieser Erprobungsphase lernen die Teilnehmer*innen zuerst die verschiedenen Berufsbildungsbereiche kennen und können je nach Interesse und persönlicher Eignung in einzelne Bereiche wie Hotel/Hauswirtschaft, Gastronomie/Küche/Service, Lager/Handel/Verkauf, Büropraxis, Garten- und Landschaftsbau/Gärtnerei, Malerei/Tischlerei/Metallbau/Elektro hineinschnuppern und die Tätigkeiten kennenlernen. Die Bildungsbegleiter*innen stellen in dieser Phase fest, welche Berufsfelder und Tätigkeiten in Betracht kommen oder welche anderen berufsbildenden oder ergänzenden Leistungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben notwendig sind. „Wenn Teilnehmer bei uns anfangen, ist noch unklar, in welche Richtung es gehen wird.“, erklärt Bernd Heinrich, der Josepha betreut. „Manchmal kann sich auch herausstellen, dass einzelne Personen doch besser in einer Werkstatt für behinderte Menschen aufgehoben sind.“
Bleiben die Teilnehmer*innen beim IB, starten sie in der zweiten Stufe (1 Jahr) mit dem Berufsbildungsbereich, der für sie in frage kommt. In dieser Phase geht es darum, die persönliche Entwicklung zu fördern sowie ihre beruflichen und lebenspraktischen Fähigkeiten zu entwickeln. In der dritten Phase (1 Jahr) werden die Teilnehmenden Stück für Stück auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. In dieser Zeit absolvieren sie auch ein Betriebspraktikum von mindestens sechs Wochen. „Die Dauer eines Praktikums richtet sich immer individuell je nach Teilnehmer*in und Firma.“, erzählt Mirko Hellwig. Er ist wie Bernd Heinrich Bildungsbegleiter beim IB, war wie sein Kollege früher in einer Behindertenwerkstatt tätig und begleitet Steffen während der gesamten Zeit. Er sagt: „Wir Bildungsbegleiter sind die Schnittstelle zwischen dem Teilnehmer und dem Betrieb.“
Steffen ist im Berufsbildungszweig Büro tätig und unterstützt den Ausbildungsbereich bei IB-Ausbilder Enrico Ruf. Dazu gehört, dass er Prüfungsunterlagen ausdruckt, Kopier- und Scanarbeiten erledigt, Ordner anlegt und Unterlagen archiviert. Steffen hilft aber auch dabei, Statistiken mit Excel zu erstellen und Teilnehmerbefragungen für das interne Qualitätsmanagement auszuwerten. Im Großraumbüro hat er einen eigenen, auf seine Bedürfnisse als Rollstuhlnutzer angepassten Arbeitsplatz. Der Schreibtisch ist höhenverstellbar, er arbeitet mit einer speziellen Computermaus für Linkshänder und er hat verschiedene Hilfsmittel erhalten, die ihm die Arbeit erleichtern. „Hier sind ideale Bedingungen – der IB hat meinen Arbeitsplatz so gestaltet, wie ich ihn brauche“, freut sich Steffen. Seine Kollegen haben ihm sogar eine Vorlage aus Holz und Pappe gebaut, damit er einfacher und vor allem selbständig Papier lochen kann. Denn Steffen braucht „Hilfe bei feinmotorischen Arbeiten wie Tackern, Lochen und Papier in Hüllen zu stecken.“ Auf die Frage, welche Arbeit ihm am besten gefällt, antwortet er: „Die Abwechslung der verschiedenen Tätigkeiten macht mir am meisten Spaß.“
Auch Josepha fühlt sich mit dem Angebot „Mensch & Teilhabe“ wohl: „Ich finde die Maßnahme super, weil ich etwas zu tun habe.“, sagt sie. Nur Zuhause herumsitzen könne sie nicht; außerdem möchte sie ihrem Kind ein Vorbild sein. Josepha hat sich für den Berufsbildungsbereich Einzelhandel/Verkauf entschieden – ein Bereich, der sie interessiert und der auch mit ihrer Legasthenie vereinbar ist: „Ich habe eine Lese-Rechtschreibschwäche, kann mir aber trotzdem sehr viel merken und komme gut mit Zahlen zurecht“, erzählt Josepha. Besonders gefällt ihr der praktische Bereich. Der IB hat ihr dabei geholfen, einen geeigneten Praktikumsplatz zu finden. Seit mittlerweile sechs Monaten arbeitet sie in einem Frankfurter Supermarkt. Begonnen hat sie mit drei Arbeitstagen pro Woche, die nun auf vier Tage erhöht werden. Für Josepha ist das Supermarkt-Team wie eine kleine Familie. Der Chef ist der IB-Maßnahme gegenüber aufgeschlossen und sehr bemüht, sich auf Josephas Bedürfnisse einzustellen und sie zu integrieren. Josepha ist in vielen Dingen sehr genau und will alles richtig machen. In der Vergangenheit hat das oft zu Stress geführt, der sie krank machte. Durch die pädagogische Begleitung und die regelmäßigen psychologischen Gespräche beim IB hat sie mittlerweile gelernt, rechtzeitig Bescheid zu sagen, wenn es ihr zu viel wird und sie nicht mehr kann.
Ihr Bildungsbegleiter Bernd Heinrich ist mit Josephas Entwicklung zufrieden und zuversichtlich, dass sie „da, wo sie jetzt arbeitet, auch künftig arbeiten“ wird. Wenn sich alles weiter positiv entwickelt, kann er sich sogar vorstellen, dass Josepha später noch eine Reha-Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau machen könnte.
Menschen, die in der Werkstatt arbeiten, bleiben in der Regel ihr ganzes Leben dort. Ein späterer Wechsel findet meistens nicht mehr statt. Auch Ausbildungen sind in Behindertenwerkstätten nicht möglich. Das Angebot des IB ist im Vergleich dazu viel flexibler, bietet andere berufliche Möglichkeiten und orientiert sich noch stärker an den persönlichen Fähigkeiten und Stärken der einzelnen Personen. „Wir führen viele Einzel- und Feedbackgespräche mit den Teilnehmenden, um sie bei ihrer Entwicklung zu unterstützen.“, fasst Mirko Hellwig zusammen. Außerdem wird sehr auf die individuellen Bedürfnisse geachtet. Vorgesehen ist eine Arbeitszeit von sieben Stunden pro Tag. Das heißt aber nicht, dass die Teilnehmenden durchgehend sieben Stunden arbeiten müssen. Im Tagesablauf sind genügend Pausen eingeplant, um die Teilnehmer*innen körperlich und geistig nicht zu überfordern. Erst nach und nach steigert sich die Arbeitszeit. Das bestätigt auch Steffen: „Die Maßnahme bietet ausreichend Zeit, um sich einzuarbeiten.“ Wenn Josepha eine Pause braucht, wird sie kreativ und beschäftigt sich mit Malen oder Zeichnen. Das hilft ihr beim Stressabbau. Auch das gemeinsame Kochen mit allen Teilnehmenden und Bildungsbegleiter*innen jeden Freitag trägt dazu bei und schafft mehr Zusammenhalt untereinander.
Der wesentlichste Unterschied zu den Werkstätten liegt jedoch darin, dass Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung nicht mehr in einer geschützten Einrichtung unter sich bleiben. In der IB-Maßnahme spielt der Inklusionsansatz eine entscheidende Rolle. Daher gibt es auch enge Kontakte zur Handwerkskammer in Frankfurt (Oder) und der dortigen Ansprechpartnerin für Inklusion, die gut mit Firmen vernetzt ist, welche bereits mit behinderten Menschen arbeiten.
Mirko Hellwig ist zuversichtlich, dass der IB mit der Maßnahme Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln kann. „Jeder Teilnehmer, den wir in Betriebe auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln können, ist für uns ein Erfolg.“ Seiner Einschätzung und Erfahrung nach scheuen sich noch viele Unternehmen Verantwortung für Menschen mit Reha-Status zu übernehmen; anderen fehlt es schlicht an Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung: „Hier gibt es noch ganz viel Berührungsängste und hier müsste sich in den Firmen noch einiges ändern“, sagt der Bildungsbegleiter.
Bis 2023 soll die vierte Stufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) umgesetzt sein. Für eine grundlegende Änderung des Arbeitsmarktes, wo Unternehmen tatsächlich ein inklusives Arbeitsumfeld anbieten und sich somit echte Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung ergeben, braucht es noch viel mehr Zeit. Ein Anfang ist schon gemacht und der IB Berlin-Brandenburg wird intensiv daran weiterarbeiten, möglichst viele Menschen im Rahmen ihrer beruflichen Entwicklung zu unterstützen und ihnen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen.
Wir wünschen Josepha und Steffen weiterhin eine gute Zeit beim IB und viel Glück für ihren beruflichen Weg.