Wer vertritt die Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen mit Behinderung?

Andrea Zimmer & Belinda Hampe 01.09.2023 Lesedauer 5 Min.

Ingrid Buchmeier! - seit 21 Jahren vertritt sie die Interessen von schwerbehinderten Menschen. Sie tut das mit einem Engagement, das hier zuerst einmal Anerkennung und Dank verdient.
Behinderung klingt wie eine klar definierbare Kategorie, in die ein Mensch eingeordnet werden kann. Tatsächlich aber gibt es gar keine eindeutige Definition des Begriffes und somit auch keine einfache Zuordnung. Die Bedürfnisse dieser Menschen sind so vielschichtig wie die Hürden vor denen sie oftmals stehen. Daher ist es unverzichtbar, dass  behinderte Menschen eine feste Anlaufstelle haben, einen Mneschen, der Lösungen findet, wo andere in Bedenken und problemorientierten Annahmen verharren.

Vorab ein kurzer Einstieg in das vielschichtige Thema.
Die Kategorie ‚Behinderung‘ ist mittlerweile eine stets mitgenannte Dimension im Wertekatalog von Vielfalt oder – wer es englisch mag – Diversity. Der Begriff Behinderung oder gar Schwerbehinderung weist aber doch auch eine gewisse Sperrigkeit auf. Zum einen ist ‚Behinderung‘ gesellschaftlich noch sehr oft negativ bestimmt, zum anderen sind die Lebenswelten von behinderten und nicht behinderten Menschen auch in so grundlegenden Bereichen wie Bildung und Arbeit oftmals voneinander getrennt. Ganz sicherlich hat sich im Umgang mit Begrifflichkeiten im unbegrenzten Raum zwischen „Behinderung“ und „Normalität“ einiges getan. Ganz sicher hat sich auch im Bewusstsein für die Belange und Bedürfnisse behinderter Menschen einiges getan. Ganz sicher aber müssen wir uns alle im Selbstverständnis einer allgegenwärtigen Gleichbehandlung noch weit nach vorn bewegen.

Rollstuhl, Blindenschleife, Gebärdensprache...

Nehmen wir diese Behelfe im Alltag wahr, so wissen wir rasch, dass es sich wohl um einen Menschen mit Behinderung handelt. Behinderung ist aber viel mehr und umfasst  Facetten, die nicht sofort ersichtlich oder begreiflich sind. Sichtbar oder nicht sichtbar, eines ist in diesem Zusammenhang recht gleich: die Fähigkeiten und Kompetenzen der Menschen finden im Kontext einer Behinderung häufig – viel zu häufig - wenig – viel zu wenig - Beachtung. Dabei ist die Gleichbehandlung von Menschen im Grundgesetz Artikel 3 fest verankert - "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
Das ist viel und doch zwingt uns die Realität ein weiteres Wort auf: „vermeintlich“! Insbesondere im Arbeitsalltag sind Menschen mit Behinderung keineswegs weder selbstverständlich noch gleichgestellt, wobei das eine das andere wohl bedingt. Für eine inklusive Gesellschaft aber ist es entscheidend, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können. Zudem verschenken Unternehmen viel Potential, wenn sie statt der Fähigkeiten und Motivation von Menschen eher die Hürden und besonderen Anforderungen sehen. Wie sonst erklärt sich, dass Menschen mit Behinderung wesentlich öfter von Arbeitslosigkeit betroffen sind?

Umso wichtiger - also quasi unverzichtbar - sind Menschen, die die verschiedenen Belange von behinderten Menschen erkennen, vertreten und somit sichtbar machen. Sogenannte Behindertenbeauftragte setzen sich bundesweit - in der Regierung, den Ländern, Gemeinden, Kommunen, Parteien, Vereinen und nicht zuletzt in Unternehmen - für die Rechte behinderter Menschen ein. Und das ist gut so! Und das ist auch beim IB so.

Ingrid Buchmeier ist, so die formale Bezeichnung: „gewählte Schwerbehindertenvertretung für Berlin“. Gewählt wird diese „Vertretung“ von allen Mitarbeitenden, die sie vertritt – logisch – also von Menschen, die selbst schwerbehindert sind. Innerhalb dieser fachlich komplexen sowie menschlich anspruchsvollen Aufgabe geht es nicht allein um Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer*innen, sondern auch um Arbeitssicherheit, Gesundheitsprävention, Reintegration, chronische Krankheiten und viel viel mehr. 

Ingrid Buchmeier gewährt uns in nachfolgendem Interview einen Einblick in ihre Person und Position. 
Das Interview führte Belinda Hampe, Diversity Beauftragte IB Berlin-Brandenburg.

„Echte Erleichterung in schwierigen Zeiten …“

Seit wann hast du diese Aufgabe und in welchem Umfang übernommen?

Ich bin seit 2002 Schwerbehinderten Vertreterin und Ansprechpartnerin für Berlin. Seit 2021 bin ich als Gesamtschwerbehindertenvertreterin für Berlin und Brandenburg tätig. Nach wie vor bin ich sehr engagiert dabei und versuche viele Hilfen zu installieren. 
Hauptberuflich bin ich im IB Wohnheim in der Grenzstraße tätig. Das ganze Team dort hält mir seit vielen Jahren den Rücken frei, um diese ehrenamtliche Aufgabe der Schwerbehindertenvertreterin ausfüllen zu können.

Heutzutage werden diverse Begrifflichkeiten unter die Lupe genommen. Was sagst du denn zu dem Begriff Schwer-„Behinderung“?  Sollte er ersetzt werden?

Für viele ist der Begriff „behindert" oder "Behinderung“ mit einer Abwertung verbunden, so dass man im neueren Sprachgebrauch von „Menschen mit Einschränkung“ spricht. Manchmal führt der Begriff „Behinderung“ dazu, dass Mitarbeitende zu lange zögern bis sie sich helfen lassen. Es ist dann erstmal schwer in das Selbstbild zu integrieren, behindert zu sein. 

Wer gilt denn als schwerbehindert?

Wer länger als ein halbes Jahr wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Beeinträchtigungen im Alltag und im Berufsleben deutlich eingeschränkt ist.

Wie viele Personen beim IB sind denn schwerbehindert und welche Behinderungen kommen beispielsweise vor?

Insgesamt sind es momentan 86 Mitarbeitende. 
Das können ganz unterschiedliche Behinderungen sein: Autoimmunerkrankungen, Verschleißerscheinungen (z.B. Wirbelsäule), Neurologische Störungen. Die körperlichen Einschränkungen ziehen im Einzelfall möglicherweise psychische Belastungen nach sich. Beispielsweise treten Konzentrationsstörungen auf. Manchmal führt eine Beeinträchtigung auch bis hin zur depressiven Erkrankung.

Wie kannst du dann hilfreich zur Seite stehen?

Gemeinsam mit dem betroffenen Mitarbeitenden, ggf. in Absprache mit dem direkten Vorgesetzten und dem Team, versuche ich dann Lösungen zu finden, die die Arbeitsfähigkeit erhalten und erleichtern. Janette Werner, als Beauftragte des Arbeitgebers für die Angelegenheiten der Schwerbehinderten Mitarbeitenden, und ich kooperieren sehr effektiv miteinander. Das bedeutet, es werden zum Beispiel die Arbeitsplätze umgestaltet, andere Möbel und Ablagesysteme eingesetzt, Arbeits- und Pausenzeiten neu geregelt. Durch einen Beschäftigungssicherungszuschuss ist es auch möglich, Hilfskräfte einzustellen, die die Person dann anteilig unterstützen. 

Kann man dich auch erst einmal unverbindlich kontaktieren und sich informieren?

Ja natürlich, ich stehe unter Schweigepflicht und das ist sehr wichtig. Es können sich Mitarbeitende ganz unverbindlich zu einem Informationsgespräch an mich wenden. Ich empfehle, sich frühzeitig zu informieren und nicht zu lange zu warten, denn es gibt Hilfsmöglichkeiten, die wirklich Erleichterung bringen!

Danke Ingrid für das Gespräch!

Ingrid Buchmeier
telefonisch erreichbar unter 030 - 469050570