Chancengleichheit braucht praktische Erfahrungen

Andrea Zimmer 25.10.2022 Lesedauer 4 Min.

Um eine Chance überhaupt be- und ergreifen zu können, ist es hilfreich, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu (er)kennen. Das polnisch – deutsche Projekt „Auslandspraktika für Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ legt hier einige Grundsteine, um zugleich vielerlei Steine aus dem Weg zu räumen. Acht Schüler*innen aus Krakau waren eingeladen, am IB Bildungsstandort in Frankfurt Oder viele praktische Erfahrungen im Bereich Gastronomie zu sammeln. Gemeinsam mit den Jugendlichen vor Ort wurde geplant, gekauft, gekocht und selbstredend auch serviert und gegessen. Aber mehr noch gab es ein beachtlich buntes Begleitprogramm, in dem die gemeinsamen Erlebnisse und geteilten Erfahrungen im Vordergrund standen. Die Jugendlichen stellten sich neuen Herausforderungen, erkannten neben ungeahnten Möglichkeiten auch die ein oder andere eigene Grenze, insbesondere, wenn es hieß, den sicheren Boden unter den Füßen zu verlassen.

 „Auslandspraktika für Personen mit besonderen Bedürfnissen“ heißt das Projekt und der Titel klingt äußerst kantig für einen so rundum lebendigen Austausch. Die polnischen Teilnehmer*innen besuchen in Krakau eine Förderschule und  absolvierten bei den Jugendlichen der Beruflichen Bildung in Frankfurt Oder (Südring) ein Praktikum in den Bereichen Küche und Service. Nicht allein der allseits bekannte Fachkräftemangel macht schon deutlich, dass die Gastronomie zumindest für jene, die darin arbeiten - kein Zuckerschlecken ist. Dementsprechend anspruchsvoll gestaltete sich der tägliche Plan dessen, was es zu lernen und zu erledigen galt. Selbstredend aber standen Spaß, Spannung und Freude sowie der gemeinsame Genuss sehr weit oben auf der "Speisekarte der Praxis". Schließlich ging es um ein Miteinander, das junge Menschen motivieren und inspirieren kann, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und sich mit Freude und ohne Angst neuen Herausforderungen zu stellen.

Erst die Arbeit, ...

Dieser Auszug bildet nur einen Tag von insgesamt 14 Tagen ab, an denen sich die Schüler*innen bereits um 07 Uhr geschniegelt und gestriegelt zur Arbeitsbesprechung einfanden. Die Tage waren prall gefüllt mit allem, was es in der Küche und im Service zu wissen galt. Für die Gruppe der Köche und Köchinnen gab es viel theoretischen Input zu Unfallgefahren, Berufskrankheiten und erster Hilfemaßnahmen, Spezifika der Gastronomiebetriebe, Sicherstellung der Qualität von Lebensmitteln und deren Lagerbedingungen uvm. Für die Gruppe im Service standen unter anderem die Arbeit mit dem Tablett, die richtige Auswahl von Besteck und Gläsern inklusive Poliertechniken, das knifflige Falten von Servietten, Kniggeregeln im Restaurant und kreative Dekorationen auf dem Plan. Besonders spannend wurde es an den beiden länderspezifischen Thementagen, denn nun kamen die jeweiligen Besonderheiten der polnischen und deutschen Küche aufs Tablett. Der Speisesaal wurde dementsprechend festlich und landestypisch für die Gäste vorbereitet. Zu einem quasi sinnbildlichen A&O wurde nun der "Blick über den eigenen Tellerrand hinaus". Und das Bild wurde auch gleichermaßen gern vertont, wenn das ein und andere "Ahhhh" und "Ohhh" dem eigenen Erstaunen Ausdruck verliehen. Ohne Frage, das gemeinsame kochen und essen verbindet und macht die anwesenden Sprachmittler kurzzeitig überflüssig.

... dann das Vergnügen!

Das gemeinsame Freizeitprogramm konnte sich sehen lassen. Eine Tour durch Frankfurt Oder stand außer Frage und auch ein Ausflug nach Berlin sollte nicht fehlen. Aber die "Reise" ging auch zur eigenen Persönlichkeit. Wie viel traue ich mir zu, was bringt mich vielleicht sogar an meine Grenzen und wo ist die Arbeit als Team weit wichtiger, als die Konzentration auf sich selbst. So ließ sich der Turmbau aus einzelnen Holzelementen tatsächlich nur bewerkstelligen, wenn alle einzelnen Fäden sich gleichermaßen ruhig in die Höhe bewegen. Auch das Zusammensetzen einer viele Meter langen Balanceröhre gelingt allein mit Geschick, Konzentration und viel Achtsamkeit auf die Bewegungen der anderen Baumeister*innen. Das Highlight - im wahrsten Sinne - war die Kletterwand. Damit es für die Kletternden aber auch wirklich hoch hinaus gehen konnte, brauchte es viele gute Eigenschaften: Geduld, Geschick, Konzentration und Ruhe sowie das Zutrauen in sich selbst und das Vertrauen in jene, die mit den Sicherungsseilen vertraut sind. Manchmal heißt "sich etwas trauen" eben auch das Vertauen in jemand anderes zu haben. So zeigte sich also auch ganz spielerisch, was helfen kann, um die eigenen Möglichkeiten zu erkennen.

Diese Tage werden allen - Schüler*innen wie Betreuer- und Lehrer*innen - sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Neben all dem gastronomischen Wissen nahm jede*r einzelne auch die ganz persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse mit. Das ist toll!

Und somit sei zu guter Letzt hier auch den Menschen gedankt, die einen maßgeblich Anteil an Planung, Organisation und Durchführung hatten:
Agata Mianowany Wozniak - IB Berlin-Brandenburg und Gregor Grzonka - IB Polska. Mit dem Fotoapparat begleitet wurden sie von Gabriele Frank.

Andrea Zimmer

… erweitert das Team „Meyer- Neumann“ zum Trio der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. „Eigentlich wollte ich nur ein Jahr beim IB bleiben, mich aus der…

Weiterlesen