Soziale Arbeit in Kitas – ein Modellprojekt

Anja Meyer 27.09.2022 Lesedauer 3 Min.

Die Kita Schatzinsel im Potsdamer Stadtteil Schlaatz hat seit Sommer 2022 eine Kita-Sozialarbeiterin. Josefine Behrendt-Wöbking ist gleichermaßen Ansprechpartnerin für Eltern, Kinder und Kolleg*innen und berät in verschiedenen Angelegenheiten. Beim IB Berlin-Brandenburg ist sie bisher die einzige Sozialarbeiterin in einer Kindertagesstätte.

Der Stadtteil Schlaatz im Südosten der Landeshauptstadt Potsdam gilt als sozialer Brennpunkt. Hier treffen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Sprachen aufeinander. Der Anteil von Migrant*innen ist überdurchschnittlich hoch; gleichzeitig leben hier auch viele Alleinerziehende und Menschen, die armutsgefährdet und auf soziale Hilfen angewiesen sind. Inmitten des Wohngebietes rund um den Inselhof befindet sich die IB-Kita „Schatzinsel“ mit rund 350 Betreuungsplätzen. Hauptsächlich werden hier Hortkinder betreut, die sich täglich nach der Schule auf den Weg in die Schatzinsel machen. Dass es unter den 230 Schüler*innen, 80 Kindergarten- und 40 Krippenkindern verschiedene Problemlagen und ein besonderen Betreuungsbedarf gibt, ist angesichts der familiären Hintergründe nicht überraschend.

››An Schulen ist die Sozialarbeit etabliert, warum nicht in Kitas?‹‹

Für Susanne Christopoulos, Regionalleiterin beim IB Berlin-Brandenburg in Potsdam, war es daher eine Herzensangelegenheit, die Kita-Sozialarbeit in der Schatzinsel zu etablieren und dafür eine eigene Stelle zu schaffen. Möglich wurde die Einstellung einer Kita-Sozialarbeiterin durch das Landesprogramm „Kiez-Kita – Bildungschancen eröffnen“. Damit will die Landeshauptstadt Potsdam Familien und Kindertagesbetreuungsstandorte in ihren Kompetenzen stärken und ein für Kinder förderliches Klima schaffen, um den Folgen sozialer Benachteiligung frühestmöglich zu begegnen (Auszug aus dem Rahmenkonzept des Landesprogramms, Stand: 15.12.2020).

Seit 1. Juli 2022 arbeitet Josefine Behrendt-Wöbking in der Kita. Die ersten Wochen nutzte sie, um ihre Kolleg*innen und die Kinder kennenzulernen und im Kita-Alltag zu hospitieren; auf dem Gesamtelternabend der Kita stellte sie sich und ihr Beratungsangebot den Eltern vor. Inzwischen hat sie einen Begegnungsraum eingerichtet – ein großer, heller Raum mit einem Spielbereich für die Kinder, einem großen Tisch und einer Beratungsecke. Auch ihr Schreibtisch ist hier untergebracht. Ihre Tür steht (fast) immer offen: Wenn es Fragen oder Probleme gibt, ist sie ansprechbar und nimmt sich die Zeit für Kinder und Eltern, aber auch für ihre und Kolleg*innen.

››Ich versuche eine Rundum-Betreuung zu bieten und im Alltag für alle präsent zu sein.‹‹

In den Beratungszeiten mit den Eltern unterstützt Josefine Behrendt-Wöbking beispielsweise bei Anträgen zur Verlängerung der Betreuungszeiten in der Kita oder bei der Beantragung einer zusätzlichen Frühförderkraft bei Kindern mit besonderen Bedarfen. Ebenso berät sie Eltern, wenn diese Sprachkurse absolvieren oder Bildungsabschlüsse nachholen wollen, informiert, wenn bei Kindern eine Ergotherapie erforderlich ist, und tauscht sich mit Familienhelfer*innen aus, die Eltern und Kinder im Alltag begleiten.  

Für die Kinder, in erster Linie die Schüler*innen aus dem Hort, ist sie die Anlaufstelle bei Fragen und persönlichen Problemen, zum Beispiel wenn es um Mobbing in der Schule, um Stress mit den Eltern oder Lehrer*innen oder in sehr ernsten Fällen um Suizidgedanken geht. Josefine Behrendt-Wöbking nimmt sich Zeit für die Kinder, die die Eltern meistens nicht haben, hört ihnen aufmerksam zu und begegnet ihnen unvoreingenommen und mit Offenheit. Das wissen die Schüler*innen zu schätzen und sind dankbar für das neue Angebot in der Schatzinsel. „Das Schöne ist, dass die Kinder einfach zu mir kommen, auch mit ihren Sorgen und Nöten“, erzählt die Kita-Sozialarbeiterin. Bei ihrer Arbeit orientiert sie sich stets am Situationsansatz: was beschäftigt und interessiert die Kinder? In den vergangenen zwei Monaten haben sich erste Gesprächskreise mit Hortkindern entwickelt, zum Beispiel eine Mädchengruppe, die sich wöchentlich zum „Kaffeeklatsch“ trifft. In kleiner Runde können die Zweitklässlerinnen ungestört quatschen, aber auch malen und basteln. Für solche Angebote interessieren sich auch die Jungen, die im Begegnungsraum Aufmerksamkeit und Anteilnahme erfahren, die ihnen in ihrem Alltag oft fremd sind.

››Es ist wichtig, dass es in Kitas multiprofessionelle Teams gibt. Im Idealfall wäre jede Kita ein Familienzentrum, mit qualifizierten Berater*innen.‹‹

Josefine Behrendt-Wöbking ist aber nicht nur für die Kinder und Eltern da, sondern auch für ihre Kolleg*innen, die sich jederzeit mit Fragen an sie wenden können, beispielsweise wenn es um Kinder mit besonderen Bedarfen geht oder bei schwierigen Eingewöhnungen, insbesondere wenn zeitgleich weitere Eingewöhnungskinder betreut werden müssen. „Ich will den Kolleg*innen langfristig Hilfe bieten und an der einen oder anderen Stelle den Druck rausnehmen“, erklärt Josefine Behrendt-Wöbking.
Geplant sind außerdem wöchentlich stattfindende, kollegiale Dienstberatungen mit Einzelfallbesprechungen. Sie sollen dazu dienen, gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln und die Qualität der Erziehertätigkeit weiter zu verbessern. Dazu wird die Kita-Sozialarbeiterin regelmäßig im Kita-Alltag hospitieren und eng mit der Kita-Fachberatung des IB zusammenarbeiten.

Vom Jugendamt in die Kita

Dass Josefine Behrendt-Wöbking für die Arbeit als Kita-Sozialarbeiterin fachlich kompetent aufgestellt ist, liegt nicht nur an ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin und Kindheitspädagogin an der Fachhochschule Potsdam. Zwei Jahre arbeitete sie im Potsdamer Jugendamt im Bereich der Hilfen zur Erziehung. Dort besuchte und unterstützte sie Familien und kümmerte sich bei Kindeswohlgefährdungen um die Inobhutnahme der Kinder und Jugendlichen. Da sie die Arbeitsweise des Jugendamtes sehr gut kennt, kann sie helfen „die Angst der Eltern vor dem Jugendamt abzubauen, wenn mal ein Brief kommt.“ In solchen Fällen nimmt sie Kontakt mit dem Jugendamt auf und vermittelt in bestimmten Fällen an Familienberatungsstellen, wo sich Eltern umfassender beraten lassen können.

„Am Ort Kita findet nicht nur die Betreuung der Kinder statt, sondern hier kommen Familien zusammen mit all ihren Themen und Problemen aus ihrer Alltagswelt.“, sagt Susanne Christopoulos. „Deshalb ist die Kita eine sehr wichtige Schnittstelle, um mit den Familien in Kontakt zu kommen.“ Obwohl die Erzieherinnen und Erzieher gewissermaßen Vertrauenspersonen sind und relativ schnell Schwierigkeiten mitbekommen, können sie sich meistens nicht um die persönlichen Belange der Familien kümmern. Es liegt nicht nur an der Zeit, die im Kita-Alltag generell sehr knapp ist. Die pädagogischen Fachkräfte sind für die Arbeit mit Kindern ausgebildet; hier liegt ihr Fokus. Auf weitergehende soziale Unterstützung in Problemfällen – abgesehen von Kindeswohlgefährdungen – werden sie während ihrer Ausbildung kaum bis gar nicht vorbereitet. Aus diesem Grund ist die Kita-Sozialarbeit so wichtig und gerade in Brennpunktvierteln umso notwendiger.

Teilhabe und Chancengerechtigkeit

Ein besonderes Anliegen von Josefine Behrendt-Wöbking und Susanne Christopoulos ist, "die Eltern mit ins Boot" zu holen und den Familien Teilhabe zu ermöglichen. Erste Ideen gibt es schon - zum Beispiel einen regelmäßigen Eltern-Kind-Treff am Nachmittag oder gemeinsame interkulturelle Frühstücke, an denen sich alle Familien beteiligen können. Auch regelmäßige Ausstellungen der Kinder sind möglich: "Ein Kunst- und Kreativpädagoge im Kollegium hat in der Kita ein tolles Atelier eingerichtet und bietet viele Angebote für die Kinder an. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Arbeiten zu zeigen - in erster Linie den Eltern", wünscht sich Josefine Behrendt-Wöbking. Bei allen Angeboten geht es um Partizipation, chancen- und bildungsgerechtes Aufwachsen von Kindern und um die Auflösung sozialer, herkunftsbedingter Benachteiligung. Es geht aber auch um Präventionsarbeit, um Familien frühzeitig zu unterstützen.

„Es wäre fatal, wenn das Programm endet, denn es wird dringend gebraucht“, appeliert Susanne Christopoulos. „Ich will unbedingt, dass wir die Kita-Sozialarbeit fortführen können, und möchte dieses Konzept mindestens in einer weiteren Kita im Stadtteil Drewitz umsetzen, weil der Bedarf dort so hoch ist.“ In Brandenburg fehlt bislang jedoch die Refinanzierung solcher Angebote. Deshalb ist noch nicht klar, wie es ab 2024 mit der Kita-Sozialarbeit weitergehen wird.

Wir hoffen, dass sich die Landespolitik hier klar positioniert und sich für die Fortführung des Landesprogramms und die Regelfinanzierung der Kita-Sozialarbeit ausspricht. Den Kindern und Eltern wäre es zu wünschen, dass sie in schwierigen Lebensphasen angemessene Unterstützung erhalten und die Teilhabe benachteiligter Familien nicht nur Theorie bleibt.

Anja Meyer

war als Referentin für Kommunikation und Marketing sowie als Pressesprecherin beim IB Berlin-Brandenburg tätig. In dieser Funktion kümmerte sie sich um die…

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