Hilfe für junge Migrant*innen

Anja Meyer 30.08.2022 Lesedauer 3 Min.

Marie Kauer und Daniel Fabian arbeiten beim Jugendmigrationsdienst (JMD) in Potsdam – eine von bundesweit rund 500 JMD-Beratungsstellen. Sie begleiten junge Menschen mit Migrationshintergrund zwischen 12 und 27 Jahren auf ihren schulischen und beruflichen Wegen und helfen bei den vielen Anträgen im deutschen Behördendschungel. Im Frühjahr 2022 haben die Jugendmigrationsdienste eine weitere wichtige Aufgabe übernommen: Sie beraten ukrainische Familien und kümmern sich um die Schulanmeldungen von Kindern ab zwölf Jahren.

„In den vergangenen Monaten haben wir uns hauptsächlich um die Schulanmeldungen ukrainischer Kinder gekümmert“, erzählt Daniel Fabian. Denn nachdem im März viele geflüchtete Familien aus der Ukraine nach Deutschland kamen, sollten insbesondere die schulpflichtigen Kinder schnell in Grund- und weiterführenden Schulen aufgenommen werden. Um eine zügige Bearbeitung zu gewährleisten, wurden die Jugendmigrationsdienste mit den Schulanmeldungen und der Betreuung der Kinder und Familien betraut – natürlich immer in engem Austausch mit dem Schulamt, den Schulen und der Ausländerbehörde. Im vergangenen halben Jahr hat sich die Arbeit des Sozialarbeiters und seiner Kollegin Marie Kauer deutlich verlagert. Während sie sich bisher überwiegend um die Belange junger Menschen mit Migrationsbiografie kümmerten und die zwölf- bis 27-jährigen bei Fragen zu Schule, Ausbildung und beruflichen Perspektiven berieten, aber auch in Wohnungsnotfällen oder bei Suchtproblemen weiterhalfen, nimmt die Begleitung ukrainischer Familien aktuell etwa 75 Prozent der Zeit ein. Innerhalb der Beratung ukrainischer Familien geht es aber nicht nur um die Schulanmeldung selbst. Auch Themen rund um Aufenthalt, Einbürgerung und Integrationskurse werden gemeinsam besprochen – entweder in englischer Sprache oder auf Polnisch oder Russisch. „An den Stellen, wo wir sprachlich nicht weiterkommen, benutzen wir eine Sprach-App“, erklärt Marie Kauer. Damit unterstützen sie in einem besonderen Maße die Behörden, die die Bearbeitung der vielen Anmeldungen ohne externe Hilfe nicht so schnell hätten bearbeiten können.

››Es ist eine schöne Arbeit, weil die Menschen freiwillig zu uns kommen und wir (fast) immer weiterhelfen können.‹‹

Die Türen der JMD-Beratungsstellen stehen täglich offen – allerdings finden die Beratungen inzwischen nur nach terminlicher Voranmeldung statt. Laut Marie Kauer hat sich das Terminsystem, das während der Corona-Pandemie eingeführt wurde, sehr gut bewährt: „Dadurch kommt eine Verbindlichkeit in die Beratung rein, was auch den Jugendlichen zu Gute kommt.“ Die am stärksten frequentierten Zeiten sind mittags nach Schulschluss und nachmittags nach den Sprachkursen. Nach der Terminvereinbarung findet zunächst eine Erstberatung statt. Dabei klären die beiden Sozialarbeiter, wo die konkreten Problemlagen liegen und wobei die Jugendlichen bzw. die Familien weitergehende Hilfen benötigen. Weil die Klärung von Amtsangelegenheiten und die Kommunikation mit den Behörden nicht immer so einfach sind, übernehmen Marie Kauer und Daniel Fabian in der Regel die wichtigsten Telefonate. „Beim Telefonieren mit den Ämtern stelle ich immer den Lautsprecher an, damit meine Klient*innen alles mitbekommen und auch Fragen stellen können.“, berichtet Daniel Fabian. Um die Klient*innen bestmöglich und transparent zu beraten, gibt es im Besprechungszimmer außerdem einen zweiten Monitor, auf dem sie mitlesen können, was die Berater*innen im Computer eintippen.

Neben den Sprechzeiten im JMD-Büro in der Charlottenstraße 30 in Potsdam beraten Marie Kauer und Daniel Fabian einmal wöchentlich in der Potsdamer Jugendberufsagentur und abwechselnd in zwei Gesamtschulen. Dort können sich die Jugendlichen direkt an sie wenden und erste Fragen besprechen bevor dann eine weiterführende Beratung erfolgt. Auch den Lehrer*innen und Agenturmitarbeiter*innen geben sie bei Bedarf Auskunft.

Mehr Fälle, wenig Personal

Während der Pandemie hatte der JMD Potsdam durchgängig Beratungen angeboten – bis auf März und April 2020 als sich Deutschland bundesweit im Lockdown befand. Auffällig ist, dass die sogenannten Case-Beratungen in der Corona-Zeit deutlich zugenommen haben. Oftmals ergaben sich in dieser Zeit Schwierigkeiten, die die Klient*innen in existenzielle Not gebracht haben. Manchen drohte bereits der Verlust des Wohnraumes, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen konnten, oder weil durch Schulden weitere Probleme entstanden. Erschwerend kam hinzu, dass die Ämter in der Corona-Zeit teilweise komplett geschlossen waren und keine Sprechzeiten vor Ort anbieten konnten. Generell sind die städtischen Ämter personell oft unterbesetzt und die Wartezeiten für Termine lang. Für viele junge Migrant*innen war und ist es daher nicht einfach, selbstständig die richtigen Schritte zu unternehmen, im Behördendschungel die richtigen Formulare und Anträge zu finden und sie zu verstehen. Obwohl sich Marie Kauer mittlerweile sehr gut auskennt, gesteht sie: „Manche Anträge habe ich auch noch nie gesehen.“ Dann benötigt sie auch erst einmal eine gewisse Zeit, um sich einzulesen und zu prüfen, inwieweit sie ihren Klient*innen dabei weiterhelfen kann.

››Wir unterstützen im Behördendschungel und dafür sind viele sehr dankbar.‹‹

„Wir beide haben Anfang 2020 kurz vor dem Corona-Lockdown beim JMD angefangen – wir kennen es gar nicht anders.“, sagt Daniel Fabian. Trotzdem wünschen sich die beiden Sozialarbeiter an der einen oder anderen Stelle Veränderungen. In erster Linie wäre eine personelle Aufstockung wichtig: „Wir bräuchten einfach mehr Stunden in der Beratung“. Denn mit dem Beratungsgespräch allein ist es nicht getan: „Etwa 25 bis 50 Prozent der Zeit benötigen wir für die Vor- und Nachbereitung und die Dokumentation, für das sogenannte Case-Management“, erklärt Marie Kauer. Die Daten, die in anonymisierter Form ins System eingegeben werden, dienen der späteren Auswertung und gehen in die Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein.

Integration 2.0:  Reformen dringend notwendig

Dringenden Handlungsbedarf sieht Marie Kauer in den Verwaltungsbereichen. So müssten Formulare und Anträge angepasst und vereinfacht und in deutlich mehr Fremdsprachen angeboten werden. „Die Verwaltung hat vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges gezeigt, dass sie schnell handeln und Informationen und Anträge in Ukrainisch zügig bereitstellen kann. Das muss auch in anderen Sprachen möglich sein.“, ist Marie Kauer überzeugt. Insgesamt wünscht sich die Sozialarbeiterin, dass den Menschen, die nach Deutschland kommen, das Ankommen leichter gemacht werden würde. Im Moment gäbe es zu viele bürokratische Hürden und wenig Gleichberechtigung. Deshalb plädiert sie für eine Reform des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes und für die Weiterentwicklung von Integrationskonzepten. Nur so können Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte in Deutschland eine neue Heimat finden und sich hier zuhause fühlen.

JMD im Quartier und Respekt Coaches

Neben den Beratungsstellen der Jugendmigrationsdienste gibt es auch die Jugendmigrationsdienste (JMD) im Quartier. Sie realisieren verschiedene Mikroprojekte für jugendliche und junge Migrant*innen, die in gemeinsamen Aktivitäten ihr Quartier mitgestalten und verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung kennenlernen und ausprobieren können. Dazu zählen zum Beispiel gemeinsame Musik- und Theaterprojekte, Ausstellungen oder Graffiti-Workshops, interkulturelle Stadtteilfeste, Jugendkonferenzen oder Ferienangebote. Aktuell gibt es 16 Modellstandorte in Deutschland – einer davon in Potsdam.

Auch die Respekt Coaches – ein bundesweites Präventionsprogramm – ist an die Jugendmigrationsdienste angedockt. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 400 solcher Respekt Coaches, die Schüler*innen über Extremismus, Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufklären. Sie informieren über die Werte unserer demokratischen Gesellschaft und vermitteln einen respektvollen und toleranten Umgang mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebensweisen. Sie unterstützen die Kooperationsschulen in strukturellen Prozessen, um Demokratieförderung und Extremismusprävention nachhaltig zu verankern.

Marie Kauer und Daniel Fabian vom JMD in Potsdam. Fotos: IB Berlin-Brandenburg/Anja Meyer

Marie Kauer faszinierten schon früh andere Kulturen, Religionen und Sprachen. Deshalb entschied sie sich für ein interkulturelles und interreligiöses Bachelor-Studium mit den Schwerpunkten Asien und Afrika an der Humboldt-Universität Berlin. Ihren Master machte sie in Religion und Kultur. Auch für soziale Themen interessierte und begeisterte sie sich schon früh. So absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im betreuten Wohnen und engagierte sich auch während des Studiums im sozialen Bereich. Nach einer Weiterbildung zum Integrationscoach begann Marie Anfang 2020 ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin beim IB Berlin-Brandenburg und arbeitet seither als Beraterin beim JMD Potsdam und stundenweise in der Gemeinschaftsunterkunft Dortusstraße.

Daniel Fabian kam über einen kleinen Umweg in den sozialen Bereich. Zunächst schloss er eine Ausbildung zum Elektriker ab und holte anschließend sein Fachabitur nach, um Digitale Medien und Informatik zu studieren. In dieser Zeit entwickelte sich bereits sein Interesse für den sozialen Bereich, weshalb Daniel im Anschluss Soziale Arbeit in Potsdam studierte. Nach dem Studium war er sieben Jahre in der ambulanten Familienhilfe tätig, wo er regelmäßig Familien betreute und zum Teil auch für die Inobhutnahme von Kindern bei Kindeswohlgefährdungen zuständig war. Später arbeitete er in einer Clearingstelle, die im Auftrag der Stadt Potsdam minderjährige Jugendliche begleitete. Beim IB Berlin-Brandenburg arbeitet er seit Anfang 2020 als Berater des JMD Potsdam.

Anja Meyer

war als Referentin für Kommunikation und Marketing sowie als Pressesprecherin beim IB Berlin-Brandenburg tätig. In dieser Funktion kümmerte sie sich um die…

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