Das Land Berlin sorgt mit seiner Auslegung des Vergaberechts bei Betreiber*innen von Unterkünften für Geflüchtete für viel Unmut. Am meisten leiden aber die Bewohner*innen unter den Folgen.
Täglich kommen derzeit tausende verzweifelte Menschen aus dem Kriegsland Ukraine in Berlin an und müssen notversorgt und untergebracht werden. Viele Berliner*innen leisten private Hilfe. Alle wissen aber, dass auch die beste private Versorgung zeitlich begrenzt sein wird. Für viele der Geflüchteten muss das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schnell Unterkünfte finden. Zu diesem Zweck kooperiert das Land Berlin mit gemeinnützigen, manchmal auch gewerblichen Betreiber*innen und kann wegen der aktuellen besonderen Notlage unkompliziert Verträge mit ihnen abschließen. Dabei werden gezielt wenige Träger zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Unter ihnen wird das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt. Auch eine so genannte freihändige Vergabe – ganz ohne Ausschreibung – ist unter bestimmten Umständen möglich.
Dabei wirft die Ausschreibungs- und Vergabepraxis im Land Berlin, zumindest was Unterkünfte für Geflüchtete angeht, seit Langem viele Fragen und noch mehr Probleme auf. Ein Beispiel: Der Berliner Senat hat in der letzten Legislaturperiode festgelegt, dass bei Neu- und Wiedervergaben von Unterkünften beim Preis-Leistungsverhältnis ein Verhältnis von 30 zu 70 gilt. Wer also ein etwas teureres Angebot abgibt, dafür eine hohe Qualität liefert (zumindest auf dem Papier), kann dennoch den Zuschlag erhalten. Doch die Ausschreibungen selbst konterkarieren diese an sich richtige politische Zielsetzung.
»Die vielen Ungereimtheiten des Vergaberechts und seiner konkreten Folgen spüren zuallererst die Bewohner*innen der Unterkünfte.«
Denn die Ausschreibungstexte gleichen einem Korsett. Extrem enge Vorgaben, welche Inhalte in welcher Weise in den einzureichenden Konzeptionen stehen müssen, fördern die Gleichartigkeit der Angebote und verhindern einen Qualitätswettbewerb. Alle Anbieter wissen genau, welche Vokabeln benutzt werden müssen und welche Überschriften nicht fehlen dürfen, um bei der Bewertung der Angebote die volle Punktzahl zu erhalten. Deshalb sind am Ende kaum noch Unterschiede zwischen den Konzeptionen unterschiedlicher Bewerber*innen auszumachen und dem Preis kommt entgegen der politischen Absicht die vergabeentscheidende Bedeutung zu.
Damit wird einerseits einem Dumpingwettbewerb Vorschub geleistet, der vor allem jene Anbieter*innen benachteiligt, die auf eine gute Bezahlung ihrer Mitarbeitenden achten und die eine seriöse Planung, etwa in Bezug auf Reinigungsleistungen, vornehmen. Hinzu kommt: All das, was in den Konzeptionen inhaltlich beschrieben wird, müsste in der Praxis seriös und nachvollziehbar überprüft werden. Im Moment spielt es bei den regelmäßigen Unterkunftskontrollen zwar eine wichtige Rolle, dass die Hausordnung in allen Sprachen ausgehängt ist und die Brandschutzordnung eingehalten wird. Aber niemand beschäftigt sich damit, ob Betreiber*innen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mitarbeiter*innen die in Konzeptionen beschriebenen pädagogischen Inhalte tatsächlich auch umsetzen und wie sie es tun. Dabei ist das der Kern der Arbeit. Und deshalb müssen solche inhaltlichen Überprüfungen auch Eingang in die Vergabeverfahren finden, denn hieran bemisst sich Qualität.
Bisher können Betreiber*innen weder damit punkten, dass sie gute Arbeit leisten, noch wird bei anderen Betreiber*innen inhaltlich Fragwürdiges erhoben. Doch das sind längst nicht die einzigen Unzulänglichkeiten, mit denen wir es zu tun haben. Viel zu kurze Vertragslaufzeiten etwa sorgen für einen häufigen Wechsel der Betreiber*innen, was zu einer Zunahme von Fristverträgen für die Beschäftigten führt und den Bewohnenden der Unterkünfte die Ansprechpartner*innen nimmt, zu denen sie Vertrauen aufgebaut haben.
Auch die Ehrenamtlichen, die Erhebliches leisten, um die sozialräumliche Integration von Neu-Berliner*innen zu befördern, haben es mit immer neuen Hauptamtlichen zu tun und werden in ihren Bemühungen mit jedem Betreiber*innenwechsel zurückgeworfen. Deshalb pocht die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände auf deutlich längere Vertragslaufzeiten und im besten Fall auf Rahmenverträge, die zu mehr Stabilität beitragen könnten. Viele Träger sind inzwischen auch selbst aktiv geworden. Auf Initiative des Internationalen Bundes IB Berlin-Brandenburg haben sich 15 von ihnen zusammengeschlossen, um bei der Politik, der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und dem LAF Verbesserungen zu erreichen. So spricht sich das Bündnis unter anderem dafür aus, dass ein Betreiber*innenwechsel regelmäßig als ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zu werten ist, damit Fluktuationen nicht zu Schlechterstellung von Mitarbeiter*innen führen.
Auch soll die Zeit zwischen Bekanntgabe des Vergabeergebnisses und Aufnahme des Betriebs auf mindestens sechs Monate angehoben werden. Aktuell liegen dazwischen oft nur vier Wochen, was den Betreiber*innen eine seriöse Personalplanung verunmöglicht, und viele Beschäftigte in den Unterkünften dazu veranlasst, sich aus Angst vor einem Arbeitsplatzverlust anderweitig zu bewerben.
Die vielen Ungereimtheiten des Vergaberechts und seiner konkreten Folgen spüren zuallererst die Bewohner*innen der Unterkünfte. Das ist auch durchaus vielen im politischen Raum und in den zuständigen Verwaltungen bewusst. Allein: Es fehlt der Mut, manchmal auch die Zeit, dringend notwendige Veränderungen einzuleiten. Kleine Lichtblicke sind immerhin zu erkennen. So sollen im Vergabeverfahren künftig diejenigen höhere Bewertungspunktzahlen erhalten, die nach Tarifvertrag bezahlen oder sich daran orientieren.
Der Artikel erschien in der Berliner Bildungszeitschrift bbz (Ausgabe Mai/Juni 2022) der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW Berlin. Mit freundlicher Zustimmung der bbz-Redaktion veröffentlichen wir den Beitrag in unserem Online-Magazin.
ist Leiter des Bereichs Politische Kommunikation und war viele Jahre beim IB als Bereichsleiter in der Flüchtlingshilfe tätig. Aktuell koordiniert er die…
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