Sprachbarrieren sind im Alltag, in der Schule und im Job ein großes Hindernis. Hilfe soll die vom IB und seinen internationalen Partnern entwickelte Übersetzungs-App Radix bieten, damit sich Kollegen*Kolleginnen oder Lehrer*innen, Ausbilder*innen und Auszubildende künftig leichter verständigen und verstehen können.
Der Begriff Radix stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Wurzel, im übertragenen Sinne aber auch Ursprung oder Herkunft. In der Botanik ist Radix die Wurzel einer Pflanze, in der Mathematik oder der Linguistik die Wurzel einer Zahl oder eines Wortes. Mit Radix wird also etwas bezeichnet, das zwar vorhanden, aber nicht unmittelbar erkennbar ist, ein unterer Teil von etwas, das den Augen auf den ersten Blick verborgen bleibt und wie beim Zahnziehen oder Unkraut jäten erst einer mühevollen Wühlarbeit bedarf, um sichtbar zu werden.
Gehört hatte ich das Wort zum ersten Mal in einer Vorlesung zur Politischen Theorie und Ideengeschichte an der Uni. Der Professor verwendete den von Radix abgeleiteten Begriff radikal, welcher heute eher negativ aufgeladen ist durch Bezeichnungen wie links- oder rechtsradikal, im ursprünglichen Wortsinne aber lediglich bedeutet, die Dinge bei der Wurzel anzupacken. Wie die Bedeutung des Wortes selber, verwurzelte sich die etymologische Herleitung in meinem Gedächtnis und wenn ich seither Zeuge des Gebrauchs der Bezeichnung radikal wurde, musste ich an die Vorlesung im Hörsaal zurückdenken.
››Radix basiert auf der Idee eines Wörterbuchs - für Ausbildung, Job und Beruf.‹‹
Als im vergangenen Jahr Mitte März 2020 mein Kollege Torsten aus der Berufsvorbereitung auf mich zukam mit einer Projektidee zur Erstellung eines internationalen Wörterbuchs für verschiedene Berufsfelder, ist mir Radix als Projekttitel unmittelbar wieder in den Sinn gekommen. Ein Wörterbuch ist ja bekanntlich ein Hilfsgegenstand zum Erlernen von Wörtern und zur Kommunikation mit anderen Menschen. Es erweitert den Sprachschatz und ermöglicht die Verständigung mit Personen unterschiedlicher Herkunft. Für ein Wörterbuch und eine Übersetzungshilfe in verschiedene Sprachen schien Radix als Titel optimal.
Entstanden ist die Idee des Wörterbuchs bei einem internen Kick-Off-Workshop für die Maßnahme Berufsorientierung für Flüchtlinge (BOF) des Bundesbildungsministeriums. Zugewanderte mit Unterstützungsbedarf sollen dabei bei einer mehrmonatigen beruflichen Orientierung und Vorbereitung auf eine Ausbildung unterstützt und begleitet werden. Da Teilnehmende verschiedenster Nationalitäten vertreten sind, stand die Frage im Raum, wie man eine einheitliche Arbeits- und Kommunikationsgrundlage zwischen den jungen Zugewanderten und dem pädagogischen Personal herstellt. Wie können sich junge Menschen unterschiedlicher Herkunft mit dem Ausbildungspersonal in einer beruflichen Orientierungsphase am besten verständigen? Wie schafft man Austausch, baut Sprachbarrieren ab und erleichtert die Kommunikation? Diese und weitere Fragen stellten sich beim Workshop und mündeten schließlich in der Vorstellung einer digitalen Lösung. Die Idee eines Fachwörterbuchs war geboren.
Nachdem mir Torsten also von diesem Workshop und dem Bedarf erzählte, war ich sofort begeistert. Uns war beiden direkt klar, dass wir die fachliche Unterstützung unserer internationalen Partner brauchten und auf die finanzielle Förderung durch das Erasmus+ Programm der EU angewiesen sind. Doch die verbleibende Zeit bis zur Antragsfrist war verschwindend gering. Wir hatten lediglich einen Monat Zeit für die Partnersuche, die Projektausarbeitung und die bürokratische Kleinarbeit. Zudem war ich selber noch kein halbes Jahr beim IB beschäftigt und hatte nur ein sporadisches Netzwerk an europäischen Partnern. Für einen Projektantrag in dieser Größenordnung eine fast nicht zu schaffende Herausforderung.
Glücklicherweise hatten wir jedoch eine stabile und verlässliche Partnerschaft in einem Vorgängerprojekt namens Compass aufgebaut. Das Projekt Compass hatte sich zum Ziel gesetzt den Erstkontakt zwischen Geflüchteten und dem lokalen Behördenpersonal mithilfe einer Wortübersetzungshilfe zu erleichtern. Verantwortlich für die Erstellung der Sprachdatenbank war unser Partner RLN (UK) ltd. aus Großbritannien und für die Übersetzungen in die verschiedenen Sprachen konnten wir uns auf die Expertise des spanischen Sprachzentrums Alos Idiomas verlassen. Unsere Partner aus Italien, Griechenland und der Türkei haben ähnlich wie wir beim IB direkt mit den Geflüchteten gearbeitet, sie in Wohnhäusern aufgenommen, pädagogisch begleitet und betreut. Uns war klar, wenn wir irgendeine Hoffnung auf Erfolg mit unserem Antrag haben konnten, dann nur im Rahmen dieser eigespielten Partnerschaft.
Nach ein paar ersten Projektskizzen und vagen Ideen kontaktiere alle Partner aus dem Compass-Projekt und zu meiner großen Überraschung erhielt ich noch am selben Tag von vier der fünf Partner eine positive Rückmeldung. Alle waren an einer neuen Partnerschaft interessiert und bereit für schnelle Zuarbeiten. Innerhalb weniger Wochen konnten wir so durch zielorientierte und zügige Kooperation ein überzeugendes Konzept auf die Beine stellen und schafften es tatsächlich innerhalb der engen Zeitfrist den Antrag rechtzeitig einzureichen. Auch wenn der Antrag aufgrund der kurzen Zeitspanne noch einige Lücken und Unklarheiten aufwies, waren die Partner, Torsten und ich überzeugt von Sinn und Nutzen des beruflichen Wörterbuchs und hofften die Antragsprüfung zu bestehen. Doch nun hieß es erstmal zwei bis drei Monate auf den Bescheid warten.
Die Freude war natürlich unendlich groß, als wir dann Mitte August 2020 die Förderzusage der nationalen Agentur für Berufsbildung erhielten. Unser Kick-Off-Treffen musste wegen der Pandemie zwar online stattfinden, aber wir hoffen die Partner im Laufe der zweijährigen Partnerschaft auch mal live zu sehen. Planmäßig steht Ende April 2021 das nächste Partnertreffen in Griechenland an.
Das berufliche Fachwörterbuch wird Übersetzungen in zwölf Sprachen inklusive Tygrinisch, Paschtu, Kurdisch, Arabisch, Albanisch und Französisch, sowie die sechs nationalen Sprachen der Projektpartner beinhalten. Die Auswahl wurde nach der Häufigkeit der von den Geflüchteten und Vertriebenen gesprochenen Sprachen getroffen. Als Berufsbereiche haben wir uns ganz ähnlich auf solche verständigt, in welchen Migranten übermäßig oft vertreten sind oder solche die in naher Gegenwart relevant sein werden. Darunter fallen Büromanagement, Konstruktion, Pflege, Hauswirtschaft sowie Logistik/Mechatronik.
Wichtig ist uns vor allem die Nutzerfreundlichkeit und Nachhaltigkeit der Anwendung. Neben einzelnen Wörtern, Bezeichnungen und Beispielsätzen werden Verlinkungen zu offiziellen Webauftritten von Ministerien, Agenturen oder sonstigen für die Berufsbildung relevanten Webseiten angeboten. Jeder der fünf Berufsbereiche wird zwischen 300 und 500 Wörter/ Sätze umfassen, kann in jede beliebige der zwölf Sprachen übersetzt werden und wird auch als Audioversion in jeder Sprache verfügbar sein. Ende September 2022 ist das Projekt abgeschlossen und kann von allen Interessierten genutzt und geteilt werden. Das Wörterbuch wird als App und als Weblösung online verfügbar sein.
Inwieweit die Übersetzungshilfe es schafft die künftigen Nutzerinnen und Nutzer ihrer Heimat oder ihrem Ursprung näher zu bringen, muss sich erst noch zeigen. Das Wörterbuch wird in jedem Fall einen Anreiz zum gegenseitigen Lernen zwischen Ausbildenden und jungen Zugewanderten bieten, die kurz vor einer Berufswahl stehen. Ein fruchtbarer Boden zum Wurzeln schlagen ist jedenfalls reichlich vorhanden.
Unser Autor Willy ist seit November 2019 im Bereich der Internationalen Arbeit in Brandenburg Nordost und Südost am Standort in Neuenhagen beschäftigt. Er hat…
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