So viele Kinder steigen aus dem Zug und keine*r von uns kann sich auch nur annähernd vorstellen, welche Bilder, Gedanken, Wünsche und Ängste jedes einzelne mit sich trägt. Geflüchtet aus der Heimat, angekommen in Berlin, auf einem vollen und zugigen Hauptbahnhof, der für sie irgendwo im Nirgendwo liegt. Sie klammern sich an eine Hand, meist die der Mutter oder Großmutter, in der anderen Hand noch etwas, das ihnen unersetzlich lieb ist, vielleicht ein Stofftier. Sie sind eingewickelt in eine Decke, vermutlich müde, ängstlich und hungrig. Mehr als Vermutungen lassen ihr Schweigen und die oft leeren Blicke nicht zu. Es ist vermessen, "Mitleid" zu empfinden, wo das Leid gar nicht erfassbar ist. Und es hilft auch nicht, der eigenen Betroffenheit mit einem leidvollen Gesicht Ausdruck zu verleihen. Was aber hilft, sind Menschen, die den Kindern mit einem Lächeln der Zuversicht begegnen und inmitten dieses kalten Bahhofs einen Raum schaffen, in dem die Kinder für etwas Zeit Kinder sein können.
Einer dieser tatkräftigen Menschen, die weit mehr als ein Lächeln schenken und etwas Mut und Zuversicht spenden, ist Karin Letz. Im Alltag arbeitet sie als Erzieherin in der IB Kita "Kunterbunt - Kinder aus aller Welt" in Berlin Schöneberg. Nun unterstützt sie in ihrer Freizeit Kinder aus der Ukraine. "Ich habe die Nachrichten gesehen, die ersten Züge, die am Hauptbahnhof ankommen und gedacht: Ich muss etwas tun!", sagt sie als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Nach kurzer Suche im Netz fand sie auf einen Aufruf, dass vielerorts dringend Unterstützung für die Betreuung von Kindern gebraucht wird. "Das ist das, was ich kann, also gab es da für mich nichts zu überlegen", mit diesem Gedanken machte sie sich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Auf den ersten Blick regierte das Chaos, aber es zeigte sich auch, dass insbesondere das Netz an Freiwilligen und verschiedene Hilfsorganisationen aus Erfahrungen profitieren und eine schnelle Hilfe auf die Beine stellen konnten. Vor Ort brauchte es Menschen, die nicht fragen, suchen oder diskutieren sondern jene, die einen Blick für die Situation haben und sich in die Handlungs"ketten" einfinden können.
Bezogen auf die ukrainischen Kinder musste keine Aufgabe definiert werden, denn was hier in aller erster Linie notwendig war, zeigte sich von selbst. Die Kinder brauchen einen Raum, möglichst kindgerecht, geschützt, warm und ruhig. Ein Ort, an dem sie - wenn man das so nennen kann - erst einmal ohne Angst sein können. Ein Bahnhof hat genau das nur selten zu bieten und so waren die gläsernen Wartehäuschen die erste und zunächst einzigbeste Lösung. Später wurden dort sinnvoller Weise blickdichte Wände aufgestellt, um die auch visuelle Unruhe auszusperren. Unglaublich schnell gab es - woher genau auch immer - auch vieles, das den Räumen etwas wohnliches und spielerisches verlieh.
Warum eine spezielle Kinderecke? Diese Frage stellt sich, weil es so wenig vorstellbar ist, dass die Erwachsenen ihre Kinder aus den Augen lassen oder die Kinder die haltende Hand loslassen würden. Doch tatsächlich ist der kleine Raum eine große Hilfe. Während die Erwachsenen sich formal melden, Beratung, erste Informationen oder eine Weiterfahrt suchen, ist es auch für sie eine Beruhigung, wenn die Kinder etwas Ruhe oder Ablenkung finden. Vorausgesetzt, die Helfer*innen können bereits in der Kürze einer Begegnung schon ein wenig Zutrauen schaffen. Das funktioniert weitestgehend gut und sehr gut, wenn auch ein*e Sprachmittler*in zur Verfügung steht. Sprache ist ein Stück Heimat und baut in jeder Hinsicht eine Brücke des Verstehens.
So öffnen sich dann doch viele Kinder nach einer Phase des Beobachtens den Möglichkeiten, die Menschen wie Karin Letz ihnen zeigen. Als sehr wertvoll erweisen sich die vielen vielen gespendeten Malsachen. Hier braucht es keine Sprache und Bilder zu malen hat für die Kinder etwas beruhigendes und vielleicht auch etwas entlastendes. Schnell hängen an den Wänden viele kleine Kunstwerke, die dem Raum auf ganz eigene Weise etwas Persönliches verleihen. Auch sehr beliebt ist das Knüpfen und Fädeln von Armbändern, die nach dem letzten Knoten stolz getragen werden.
Karin Letz erzählt erfrischend leicht über ihre Stunden und Erfahrungen am Hauptbahnhof, obwohl viele Bilder und Situationen alles andere als leicht sind. Jeden Tag kommen mehr Menschen und noch mehr Kinder am Bahnhof an. Bis die Hilfe mal in größerem Rahmen mit einer sinngebenden Struktur und bezahltem Personal organisiert wird, sind es all die ehrenamtlich tätigen Menschen, die vor Ort wie selbstverständlich großartige Unterstützung bieten. Sie alle verbindet ein Moment, da ein Gedanke sie unmissverständlich zum Handeln aufruft. "Wir müssen etwas tun!"
Bleibt ein Gedanke zum Schluss: Chapeau!
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