Wo Konflikte entstehen, sind Emotionen mit von der Partie und erweisen sich selten als gute Beraterinnen. Besser beraten sind Konfliktparteien von einem Menschen, der sich beide Seiten anhört, den Dialog ermöglicht und vermittelnd moderiert - neutral, sachlich, kompetent. Im Übergangswohnheim Marienfelder Allee können sich Bewohner*innen zu Konfliktlotsen*innen / Peer-Mediator*innen qualifizieren lassen, um Steine des Streites aus dem Weg zu räumen, bevor sie zu einer Mauer getürmt werden.
Geflüchtete Menschen leben im wahrsten Sinne des Wortes Not gedrungen und oft geraume Zeit in einer Umgebung, die zwischenmenschlichen Konflikten sehr viel Raum bietet. Eben, weil sie selbst nur wenig Raum für sich selbst haben. Kulturelle und sprachliche Unterschiede, Ängste vor dem „Unbekannten“, psychologisches Trauma, ethnische Spannungen, es gibt vieles, das sich einem respektvollen und friedlichen Miteinander entgegen zu stellen vermag. Ein vermeintlich banaler Streit kann zu einem unüberbrückbaren Problem werden und leider auch in Gewalt enden.
Konflikte sind nicht immer zu vermeiden, aber wir können beeinflussen, ob sie destruktiv oder konstruktiv werden.
„Wir können beeinflussen“ ? ... Ja!, doch das setzt auch ein Können im Sinne des bewussten Umgangs mit dem Konflikt und den beteiligten Menschen voraus. Ein Können, das sich lernen lässt und eben das wollte Uta Sternal im Übergangswohnheim Marienfelder Allee aktiv nutzen. Realisieren ließ sich der Wunsch mit Hilfe der gemeinnützigen Organisation „R3solute“ - einem diesbezüglich perfekten Partner.
Uta Sternal blickt zufrieden zurück: “R3SOLUTE führte in unserer Unterkunft ein Peer-Mediations-Training durch und etablierte so nachhaltige und wertvolle Prinzipien der Konfliktlösung in unserer Gemeinschaft. Die Zusammenarbeit stellt für uns und die Gemeinschaft der Bewohner*innen eine große Bereicherung dar. Daher werden wir die Kooperation gern fortsetzen und weitere Trainings anbieten”.
In Marienfelde wurden bisher 12 aus Afghanistan und Syrien geflüchtete Menschen zu Peer Mediator*innen ausgebildet. In dem 40-stündigen Training durchliefen sie Workshops, Seminare und persönliches Coaching mit den Schwerpunkten „Peer Mediation“ und „Psychotraumatologie“. Zur Untersuchung von Konflikten spielt dabei die Auseinandersetzung mit Emotion, Energie, Wahrnehmung und Reflexion eine primäre Rolle. Im praktischen Training rücken die Kompetenzen in den Mittelpunkt: aktives Zuhören, Umschreiben eines Problems, Abgrenzung von Positionen und Interessen, Sondieren von Lösungen. Die Idee und das Ziel dieser Ausbildung ist so einfach wie perfekt: Konflikte können da und dann gelöst werden, wo und wenn sie entstehen. Zudem sind die Mediator*innen in ihrem derzeitigen Lebensraum keine Fremden und können Konflikte sowie deren Ursachen aus ähnlichem Blickwinkel – im Sinne von Kultur, Mentalität und Erfahrungen – betrachten und so gemeinsam einen Lösungsweg erarbeiten.
Wie gut gelingt es den Mediator*innen, in Konfliktsituationen eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten? Können sie ein besseres Verständnis der Menschen füreinander erwecken und einen Streit somit nachhaltig aus der Welt schaffen?
Ich sprach mit Abdul Razzag Al-Sabeeh. Der heute 40-jährige war in seinem Heimatland Syrien als Journalist tätig und konnte im Januar 2020 mit seiner Frau und 5 Kindern über das Hilfsprogramm „Reporter ohne Grenzen“ nach Deutschland aussiedeln. Die Familie wohnt in der Marienfelder Allee und Herr Al-Sabeeh ist seit 4 Monaten dort als qualifizierter Peer-Mediator tätig. Das Gespräch fand mit Hilfe einer Dolmetscherin statt, daher sind die Antworten hier keine wörtliche Rede, aber doch eine authentische Zusammenfassung der gesprochenen Worte. Die nicht gesprochene weibliche Form bleibt hier keineswegs missachtet aber unbeachtet.
Alle Konfliktlotsen sind in der Unterkunft bekannt; am Eingang hängt eine Liste mit den Namen und Fotos. Wer also Unterstützung braucht, sucht sich „seinen“ Lotsen aus, aber das Problem wird im Vorfeld im Team besprochen. Jede Woche setzen wir Mediatoren uns mit der Leitung zusammen und besprechen bereits bekannte Beschwerden oder Anliegen und bereiten die Gespräche vor.
Zu uns kommen hauptsächlich Syrer, Araber, Kurden … also Menschen der arabischen Kultur, die wir ja alle teilen.
Ja, meistens beginnt der Streit unter den Kindern oder Jugendlichen und überträgt sich dann auf die Eltern, die sehr emotional und subjektiv Partei ergreifen. Die Kinder streiten, aber das ist oft nur ein Ventil für die Erwachsenen, um unausgesprochene Differenzen auszutragen. Das kann schnell eskalieren. Ein häufiger Auslöser ist Lärm. Die einen suchen die Gesellschaft, die anderen wollen Ruhe. Da spielt auch Neid auf die „Gelassenheit“ der anderen eine Rolle und das hat meist eher psychologische Gründe.
Wir kommen alle aus einem Leben, in dem das Trauma zum Alltag gehört. Wir kennen also auch den Umgang damit aus eigener schnerzhafter Erfahrung. Der Kurs hat aber bestätigt und gefestigt, was wir aus unserer Erfahrung wissen und wie wir mit verängstigten Menschen umgehen. Es braucht viel Mitgefühl und Geduld. Wichtig ist vor allem, ein Bewusstsein für die Angst zu stärken und das starke Bedürfnis "Vergessen zu wollen" zu schwächen. Das ist schwer, aber es hilft, wenn sich klare und einfache Ziele formulieren lassen. Auch das Gespräch als solches ist oft schon eine wichtige Stütze, denn es zeigt, dass wir mit unseren Erfahrungen und Ängsten nicht unbedingt allein sind oder sein müssen.
Ich bin Journalist und würde dies gern irgendwann auch in Deutschland sein. Ich möchte gern dazu beitragen, die deutschen Klischees über uns "Syrer" aufzuweichen. Viele von uns haben einen Beruf und auch in Deutschland bereits ein eigenes Leben aufgebaut. Wir sind nicht für ein Leben in Wohlstand geflohen, sondern für ein Leben in Sicherheit. Viele denken, wir kommen aus der Steinzeit, haben nichts und leben noch in Zelten. Syrien besteht nur aus Terroristen und alle erschießen sich. Aber selten fragen die Menschen, wer ist das syrische Volk und welche Kultur haben wir. Umgekehrt haben auch viele Syrer ein falsches Bild von Deutschland. Wir dachten, hier gibt es nur Rassisten. Also, wenn ich eine großen Wunsch habe, dann den, falsche Bilder zu korrigieren.
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