Schon als Teenager merkte Tim, dass er sich in seinem weiblichen Körper fremd fühlte und kein Mädchen sein wollte. Bald wurde ihm klar, dass das nicht bloß eine Phase in der Pubertät ist, sondern dass er eine Transperson ist, die lieber als Mann leben möchte.
Es ist Juni und es ist Pride month! In diesem Monat möchten wir eine besondere Geschichte mit euch teilen. Normalerweise veröffentlichen wir in unserem Online-Magazin nur Themen des IB in Berlin und Brandenburg. Anlässlich des Diversity-Tages hat unser Kollege Marcus Uhlig, Bildungsbegleiter im IB Bildungszentrum in Herne (Nordrhein-Westfalen), ein sehr persönliches Interview mit Tim* geführt, der bis vor Kurzem noch als Sandra* gemeldet war. Marcus Uhlig hat Tim im Rahmen der BVB-Reha (Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für Rehabilitanden) in Witten kennengelernt und seine Geschichte festgehalten, die uns sehr bewegt hat. Deshalb haben wir uns entschlossen, dieses Interview als Gastbeitrag in unserem Online-Magazin zu veröffentlichen.
Marcus: „Tim, ich danke dir zunächst, dass du dich mit deiner Geschichte zur Verfügung stellst, um einen Blick mit eigenen Erfahrungen auf das Thema „Transgender“ zu werfen."
Tim: „Sehr gerne stelle ich meine Geschichte zur Verfügung und kläre auf oder versorge mit Insiderinformationen!“
Marcus: „Wie muss ich mir das denn vorstellen, wo ich so völlig unerfahren im Thema bin, von Medienberichten mal abgesehen; gab es einen besonderen Tag, an dem du festgestellt hast, dass du nicht mehr Sandra bist oder sein möchtest oder startete die Geschichte ganz anders?“
Tim: „Einen konkreten Tag gab es tatsächlich nicht. Nach und nach kam das Gefühl durch, dass ich kein Mädchen sein kann oder sein will; ich habe ab dem zwölften Lebensjahr nur noch die Sachen meines Bruders angezogenund keine Mädchenklamotten mehr und habe mir dann auch die Haare abgeschnitten.“
Marcus: „War dann mit diesem äußerlichen Statement für dich auch im Inneren alles klar und sozusagen bereinigt?“
Tim: „Ich habe noch eine Dokumentation über eine Transfrau gesehen, bei der mir dann endgültig klar wurde „so, nur eben umgekehrt, ist’s bei mir doch auch.“
Marcus: „Lass mich das gleich aufnehmen: Transfrau; ist das ein Begriff, den man so verwenden darf oder gar sollte? Fühlt man sich dann als Transperson nicht gleich abgestempelt?“
Tim: „Da gibt es sicherlich verschiedene Auffassungen und letztlich klärt sich das am besten im Dialog, wichtig ist der jeweiligen Person in jedem Fall aber, dass man sie oder ihn mit dem richtigen Geschlecht anspricht und wahrnimmt, dass ist in der Regel die größte Sorge.“
Marcus: "Zurück zu deiner Geschichte; ich stelle mir vor, dass das mindestens der Familie nicht verborgen geblieben ist; deinem Bruder fehlen Klamotten, deine Eltern vermissen vielleicht deine langen Haare-wie waren denn die Reaktionen?“
Tim: „Im Alter von zwölf bis neunzehn Jahren habe ich die ganze Dimension, die dahinter steht, vor meinen Eltern geheim gehalten, weil ich von deren Unverständnis oder Enttäuschung ausgegangen bin.“
Marcus: „Und heute, erfährst du in der Familie Unterstützung?“
Tim: „Seit meinem vierzehnten Lebensjahr wohne ich ja nicht mehr zuhause, sondern war und bin in unterschiedlichen Wohngruppen und Kliniken untergebracht.“
Marcus: "Hast du die Erfahrung gemacht, dass diese Kliniken dir geholfen haben, sind wir in Deutschland schon so weit, dass wir Menschen mit deiner Geschichte adäquate Hilfe bieten können?“
Tim: „Ja, absolut. Ich wurde in den Kliniken ernst genommen und man hat mir auch wirklich geholfen.“
Marcus: „Wenn du magst, wiederhole ich nochmal die Frage nach der Familie.“
Tim: „Mein Vater und mein Bruder stehen hinter mir und unterstützen mich, sprechen mich mit dem Namen und dem Geschlecht an, das ich lebe. Dass ältere Menschen, sogar Familienmitglieder damit nichts anfangen können und überfordert sind, kann ich nachvollziehen.“
Marcus: „In unserer Maßnahme bist du als Tim willkommen und wirst auch von allen als solcher behandelt und angesprochen, gleichwohl hat die Agentur für Arbeit dich als Sandra angemeldet. Was muss denn passieren, damit wir den„amtlichen Tim“ in unseren Akten stehen haben?“
Tim: „Für den amtlichen Tim muss die Vornamen-und Pronomenänderung bei Gericht erfolgt sein. Dafür muss ich einige Atteste beibringen, unzählige Formulare ausfüllen und einen detaillierten Lebenslauf vorlegen. Aktuell bin ich damit zugange.“
Marcus: „Dafür sind wir in Deutschland in der ganzen Welt teils berühmt, teils berüchtigt, hier geht’s um deutsche Genauigkeit. Sei versichert, dass wir in unserem Team dir dabei gerne behilflich sind.“
Tim: „Danke."
Marcus: „Ich habe das Gefühl, dass sich in Bezug auf (Trans)gender einiges bewegt in unserem Land. (...) Ist das eine Sicht, die ich habe, weil das Thema mich persönlich nicht betrifft oder nimmst du das auch so wahr?“
Tim: „Die Wahrnehmung ist völlig richtig; die Akzeptanz gegenüber Transgender ist deutlich gestiegen, das Thema wird öffentlich besprochen und nicht mehr tabuisiert, es ist eine ausgiebige öffentliche Diskussion entstanden, die beiden Seiten hilft.“
Marcus: „Und was könntest du dir vorstellen wäre noch hilfreich, um diese Akzeptanz weiterauszubauen?“
Tim: „Das Thema Transgender könnte in den Schulen aktiv angefasst werden, so würden wir einerseits Bedenken frühzeitig ausräumen und auf der anderen Seite Stigmatisierungen an Schulen entgegenwirken, schon bevor diese entstehen.“
Marcus: „Wie bei allen Fragen, das haben wir vorher besprochen, hast du das absolute Vetorecht und musst nichts beantworten, was dir unangenehm ist. Was ich mich bei der Vorbereitung aber gefragt habe: findet mit dem Ausleben des wirklichen Geschlechts auch ein Wechsel der sexuellen Orientierung statt?“
Tim: „Pauschal lässt sich das nicht beantworten; in meinem Fall ist es so, dass ich früher auf Frauen gestanden habe und daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings gibt es auch Beispiele, bei denen sich die Präferenz in der Tat geändert hat.“
Marcus: „Jetzt starten wir gemeinsam in die Maßnahme, wenn du einen kleinen und einen großen Ausblick in die Zukunft werfen würdest, was wünscht du dir kurz-und was langfristig?“
Tim: „Kurzfristig möchte ich eine gute und erfolgreiche Maßnahme bestreiten und wünsche mir, dass ich so akzeptiert werde, wie ich bin; langfristig wäre es toll, wenn Transgender gar kein Thema mehr wäre, sondern gelebte Selbstverständlichkeit.“
Marcus: „Was ich dir heute und ich bin sicher im Namen des ganzen IB versichern kann ist, dass du hier bei uns Tim bist, ungeachtet dessen, wer du früher mal warst oder sein musstest. Und was die Gesellschaft als Ganze betrifft, hast du ab heute mit mir und vielen meiner Kollegen und Freunde Mitstreiter hinzugewonnen, die für die Akzeptanz von Transgender einstehen. Ich danke dir für deinen Mut!"
Wir danken Marcus und Tim dafür, dass wir das Interview in unserem Online-Magazin veröffentlichen dürfen und wünschen beiden alles Gute für die Zukunft.