Diana stammt aus der Ukraine - im Januar 2022 hat sie ihren Freiwilligendienst beim IB Berlin-Brandenburg begonnen und muss nun aus Deutschland mit ansehen, was in ihrer Heimat geschieht. Wir haben uns mit ihr zum Interview in Berlin getroffen.
Es ist Freitagvormittag, 10 Uhr. Die Luft ist noch kalt, aber die Frühlingssonne schickt schon die ersten warmen Strahlen Richtung Berlin. Wir haben uns mit Diana in einem Café in Friedrichshain verabredet; wollen mit ihr über ihren Freiwilligendienst beim IB Berlin-Brandenburg sprechen und natürlich auch über den Krieg, der in der Ukraine tobt und einen nicht mehr loslässt. Auch wenn sich an diesem sonnigen Morgen alles irgendwie normal und selbstverständlich anfühlt, so ist es das seit drei Wochen längst nicht mehr – nicht in Deutschland und erst recht nicht in der Ukraine.
››Wir haben 2022 – ich kann es immer noch nicht glauben.‹‹
Für uns alle ist es noch immer unvorstellbar, dass in der Ukraine – einem Land mitten in Europa – ein Angriffskrieg herrscht. Für Diana und ihre Landsleute gilt das umso mehr. „Am Abend vor dem Angriff, also am 23. Februar, habe ich mit meiner Freundin telefoniert. Wir haben darüber gesprochen, und konnten uns einfach nicht vorstellen, dass so etwas wirklich passiert.“, erinnert sich Diana an den Tag vor der – inzwischen viel zitierten – „Zeitenwende“. Die 26-Jährige lebt aktuell in Berlin und arbeitet in Brandenburg. Aus der Ferne richtet sich ihr Blick besorgt in die Heimat, aber auch nach Moskau.
Diana ist in der Ukraine geboren und auf der Krim aufgewachsen, der Heimat ihrer Mutter und der Großeltern. Als Kleinkind war sie einige Male in Syrien, wo ihr Vater herkommt. Während sich die Ukraine aktuell unerbittlichen Artillerieangriffen durch die russische Armee gegenübersieht, mussten Diana und ihre Familie bereits 2014 die russische Invasion erleben. Damals wurde die Krim von Russland annektiert und die Gefahr eines Krieges in der Ukraine schien bedrohlich nah.
Zu dieser Zeit war Diana gerade 18 Jahre alt, hatte die Schule beendet und stand vor der Entscheidung, wie es für sie weitergeht. Eine echte Wahl hatte sie nicht, denn für Dianas Eltern stand längst fest: entweder ein Medizin- oder ein Architekturstudium. Sie entschied sich für Architektur, studierte zunächst auf der Krim und ging 2015 nach Moskau, um in der russischen Hauptstadt Design zu studieren. Das Designstudium konnte sie allerdings nicht so sehr begeistern, sodass sie nach einem Jahr abbrach und sich beruflich in verschiedenen Bereichen ausprobierte. So hat sie etwa als Kellnerin in einem Café ausgeholfen, war als Fotografin für den Instagramauftritt eines Geschenkartikelgeschäfts zuständig und arbeitete anderthalb Jahre als Rezeptionistin in einem Yogastudio. Alle Erfahrungen in diesen unterschiedlichen Berufsfeldern führte sie Anfang 2020 zu dem Bereich, der sie wirklich interessierte: die Filmbranche. Sie arbeitete in Agenturen, die Werbefilme produzierten, und eignete sich eine Menge Know-how an. Als die Eltern merkten, dass sich ihre Tochter ein stabiles berufliches Fundament aufgebaut hatte, war auch der Abbruch des Studiums bald vergessen. Diana liebte, was sie tat. Doch trotz aller Begeisterung für die Arbeit spürte sie, dass eine andere Idee in ihr reifte.
Gemeinsam mit ihrem Vater hatte sie früher schon öfter Deutschland und Familienangehörige besucht, die infolge des Syrienkrieges geflüchtet waren und im Westen der Republik ein neues Zuhause gefunden hatten. Wie sie Deutschland während ihrer Besuche kennenlernte, gefiel ihr und der Wunsch, eine Zeit lang in der Bundesrepublik zu leben und zu arbeiten, wurde größer. Noch während sie in Moskau wohnte, fing sie an Deutsch zu lernen. Unterstützung fand sie bei einer russischen Sprachlehrerin aus München, die mit Diana digital deutsche Grammatik und Vokabeln paukte. Parallel suchte sie nach Möglichkeiten, was sie beruflich in Deutschland machen könnte. Der entscheidende Tipp kam von einem Freund, der sie auf die Klitschko Foundation und auf das internationale Freiwilligenprogramm des Europäische Solidaritätskorps (ESK) aufmerksam machte. So entdeckte Diana den Internationalen Bund und seine Einsatzmöglichkeiten für europäische Freiwillige. Der IB ist im EU-geförderten Programm für europäische Freiwilligendienste in der laufenden Förderperiode 2021-2027 akkreditiert und darf junge Freiwillige aus Europa für ein Jahr bei sich aufnehmen.
Für Diana war schnell klar, dass es das ist, was sie in Deutschland gerne machen will. Sie bewarb sich im März 2021 beim IB Berlin-Brandenburg, in der Hoffnung schnell eine Zusage zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Auswahlgespräche für die neue Freiwilligenstelle allerdings schon abgeschlossen und die Stelle war kurz zuvor an eine andere Freiwillige vergeben worden. Dianas Bewerbung und Lebenslauf waren aber so überzeugend, dass der IB sie ermutigte, sich für die nächste Freiwilligenposition zum Jahresende zu bewerben. Genau das tat sie dann auch und ihre Geduld zahlte sich letztlich aus: Diana bekam die Stelle.
››Es ist eine tolle Erfahrung mit Kindern zu arbeiten.‹‹
Im Januar 2022 war es dann endlich soweit: Diana konnte ihren Freiwilligendienst beim IB Berlin-Brandenburg antreten. Eingesetzt ist sie an zwei Tagen pro Woche im Jugendclub Stino, wo sie mit Jugendlichen gemeinsame Aktivitäten plant und umsetzt. Zusätzlich unterstützt sie die Kollegen*Kolleginnen der mobilen Jugendarbeit im Amt Britz-Chorin-Oderberg und betreut im Freizeitclub zweimal wöchentlich die Kinder, die nach der Schule vorbeikommen. Sie hilft bei den Hausaufgaben, spielt, bastelt und kocht mit den Mädchen und Jungen. Die Arbeit macht ihr Spaß, wenngleich der Umgang mit den Teenagern etwas schwieriger ist als mit den jüngeren Kindern. Die Älteren sind froh, im Jugendclub ein bisschen Ruhe und Abstand zum familiären Umfeld zu haben, und wollen mit den Gleichaltrigen einfach nur „chillen“. Sie für bestimmte Aktionen zu begeistern und zu motivieren, empfindet Diana manchmal als Herausforderung. Dennoch ist sie der Meinung, dass auch die Jugendlichen Aufmerksamkeit und Betreuung brauchen.
Nach zehn Wochen im Freiwilligendienst hat sie sich bereits gut eingelebt und bringt immer wieder neue Ideen in die offene Jugendarbeit ein, zum Beispiel ihre Erfahrungen mit Design und Filmproduktion. So hilft sie bei der Gestaltung von Event- und Aktionsplakaten der Jugendarbeit und bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Die Kinder und Jugendlichen freuen sich über die Anwesenheit der jungen Frau. Auch Diana ist froh, mit dem Freiwilligendienst eine solche Gelegenheit bekommen zu haben: „Es ist eine tolle Erfahrung mit Kindern zu arbeiten. Es hilft auch generell, mit Menschen zu arbeiten“, sagt Diana. Ihre Tätigkeit hat einen weiteren positiven Nebeneffekt: „Ich kann super mein Deutsch verbessern.“
Vom IB Berlin-Brandenburg und den Kollegen*Kolleginnen erhält Diana nicht nur Unterstützung bei ihrer Arbeit, sondern auch darüber hinaus: vor allem am Anfang gab es viele Formalitäten, bei denen sie Hilfe bekam. Auch bei der Wohnungssuche half der IB weiter. Gemeinsam mit zwei weiteren ausländischen Freiwilligen, die über das Erasmus+ -Programm nach Deutschland kamen, wohnt sie während des gesamten Freiwilligenjahres in der Berliner Mitarbeiterwohnung des IB.
Wer so vielseitig interessiert und kreativ ist wie Diana, versteht wie das pulsierende und lebendige Berlin auf die 26-jährige wirkt. Nach drei Monaten in der Hauptstadt hat sie Berlin kulinarisch und kulturell Facetten Berlins bereits umfassend entdeckt und berichtet darüber in Video-Blogs auf Youtube. Ihre eigenen Routinen haben sich während der letzten drei Monate auch schon ausgebildet: „Der tägliche Kaffee auf der Zugfahrt zum Jugendclub gehört für mich einfach dazu.“
Durch ihren Freiwilligendienst erlebt Diana in Deutschland einen normalen Alltag, in den sich immer wieder Sorgen und Ängste um die Heimat und die Familie mischen. Wie alle Ukrainer*Ukrainerinnen hofft Diana auf ein schnelles Ende des grausamen Krieges. Im Moment ist keine Lösung in Sicht. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf der Flucht, um sich in Sicherheit zu bringen; viele andere bleiben, um ihr Heimatland zu verteidigen und um für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen.
››Mein Vater ist sehr froh, dass ich in Deutschland bin.‹‹
Besonders tragisch für Diana und ihre Familie: Schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren sind sie mit Krieg und Flucht konfrontiert. Die Heimatländer ihrer Eltern und Großeltern – Syrien und Ukraine – müssen die leidvollen Folgen der grauenhaften Kriege tragen, in die beide Male Russland entweder als Aggressor oder als militärisch Beteiligter involviert ist beziehungsweise war.
Ihre Großmutter und ihr Vater leben noch auf der Krim, der Bruder studiert in Moskau, die Großeltern väterlicherseits sind in Nordsyrien geblieben. Alle anderen Familienangehörigen – vorwiegend der syrische Teil – leben wie Diana in Deutschland. Mittlerweile ist auch ihre Cousine aus der Ukraine nach Süddeutschland geflüchtet. Hier sind Diana und ihre Angehörigen in Sicherheit. Doch die Kriegs- und Fluchterfahrungen innerhalb der Familie prägen.
››Ich träume davon, dass die Krim irgendwann wieder zur Ukraine gehört.‹‹
Und auch die Annektierung der Krim hat Spuren hinterlassen. „Seit 2014 hat sich vieles verändert. Es gab ab da keine große Auswahl an Produkten mehr und die Preise sind sehr hoch, obwohl die Menschen nicht viel Geld verdienen.“, erzählt Diana. Die damals von Russland verhängten Sanktionen betreffen auch die Reisefreiheit, wie die 26-Jährige berichtet: „Von der Krim aus sind keine internationalen Flüge mehr möglich.“ Am einst internationalen Flughafen Simferopol heben seit 2014 nur noch Flugzeuge in Richtung Russland ab. Alle auf der Krim lebenden Menschen erhielten damals zusätzlich den russischen Pass. „Ich bin aber keine Russin, ich bin Ukrainerin.“, sagt Diana. Für sie ist die Einreise in die Ukraine seit jeher nicht mehr ohne Grenzkontrollen möglich.
Kein Wunder, dass Diana und ihr Bruder der Krim nach Abschluss der Schule den Rücken kehrten und zum Studieren nach Moskau gingen. Eine Stadt, die die junge Frau liebt. Auch wenn „Moskau nicht Russland ist“, wie Diana sagt, hat sich die Lage in der russischen Hauptstadt wie im restlichen Land seit Kriegsbeginn grundlegend geändert: Staatliche Propaganda, Medienzensur, Repressalien durch den Kreml haben extrem zugenommen, und die Sanktionen anderer Staaten treffen Russland hart. Wäre ein Leben in Moskau unter diesen Bedingungen und mit dem Wissen, im Land des Aggressors zu leben, für eine Ukrainerin überhaupt denkbar? Nein! Für Diana ist es unvorstellbar geworden, nach Moskau zurückzukehren - nicht einmal, um dort Freunde zu besuchen. Und wie eine Zukunft in der Ukraine in den nächsten Jahren aussehen wird, ist aktuell völlig ungewiss.
Dianas Freiwilligendienst endet erst Anfang 2023. Noch hat sie Zeit, sich in der sozialen Jugendarbeit des IB zu engagieren, Land und Leute besser kennenzulernen und ihre Deutschkenntnisse weiter zu verbessern. Wie es danach weitergeht, weiß Diana noch nicht genau; sie scheint aber ziemlich sicher zu sein: „Ich bleibe erst mal hier.“
Wir danken Diana ganz herzlich für das offene, persönliche Gespräch und dass sie uns an ihrem Lebensweg und ihren Gedanken hat teilhaben lassen. Für ihre Zukunft und die ihrer Familie wünschen wir Diana alles Gute.