IB-Mitarbeitende unterstützen in Polen

Anja Meyer Anja Meyer und Andrea Zimmer 15.03.2022 Lesedauer 4 Min.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatten sich Julita Wagner-Krawzcyk und Tim Müller sowie weitere IB-Mitarbeitende als Freiwillige gemeldet. Sie wollten die Kolleginnen und Kollegen vom IB Polska unterstützen, die sich seit Kriegsbeginn um ukrainische Geflüchtete kümmern. Eine Woche lang halfen sie in Krakau dabei, die vielen internationalen Spenden zu sortieren und an geflüchtete Ukrainer*innen zu verteilen. Hier schildern sie ihre Erlebnisse und Eindrücke.

Fahrt von Berlin über Frankfurt (Oder) nach Krakau

Am 6. März machte sich der erste Spendentransport des IB Berlin-Brandenburg auf den Weg nach Krakau zum IB Polska. Parallel dazu fuhren Julita Wagner-Krawczyk vom Jugendmigrationsdienst Frankfurt (Oder) und Tim Müller vom Haus am Alboinplatz gemeinsam mit zwei weiteren Kolleg*innen – Slawa Wyrwicka und Axel Behrens – in die südpolnische Stadt. Sie folgten einem Aufruf der Geschäftsführung, die nach Freiwilligen suchte, welche die Kolleginnen und Kollegen vom IB Polska bei der Beratung der Geflüchteten und beim Organisieren und Verteilen der Spenden unterstützen sollten. Mit Ausbruch des Krieges nahm Polen in kürzester Zeit hunderttausende geflüchtete Ukrainer*innen auf. Krakau wurde zum Drehkreuz für Spenden in Richtung Ukraine und für Geflüchtete auf der Weiterreise in andere polnische Städte und andere EU-Länder. Auch der IB Polska stand in den ersten Wochen vor der großen Herausforderung, der Flut an Spenden Herr und den zum Teil traumatisierten Menschen gerecht zu werden.

››Es braucht vor Ort dringend Menschen, die sehen, was zu tun ist, und einfach anpacken.‹‹

Für Julita Wagner-Krawczyk war es deshalb keine Frage, sondern eine Herzensangelegenheit, sich sofort als Freiwillige zu melden: „Als der Aufruf unserer Geschäftsführung kam, hatte ich das Gefühl, das ist an mich adressiert und mein Bauch sagte ‚ich muss dahin und mithelfen‘.“ Auch ihre Brandenburger Kollegin Slawa Wyrwicka und ihre Berliner Kollegen Tim Müller und Axel Behrens zögerten nicht lange und waren sofort dabei. Zu diesem Zeitpunkt kannten sich die vier IB-Mitarbeitenden noch nicht persönlich, hatten auf der achtstündigen Autofahrt jedoch ausreichend Zeit für ein erstes Kennenlernen und ausgiebige Gespräche. Am Sonntagnachmittag erreichten sie Krakau und machten sich nach dem Check-in im Hotel direkt auf den Weg zum Büro von Maria Wojtacha, Leiterin des IB Polska, um mit ihr die Aufgaben der kommenden Tage zu besprechen.

Ein gutes Team: Julita Wagner-Krawczyk und Tim Müller; im Hintergrund Maria Wojtacha vom IB Polska.
Abendliche Lagebesprechung zwischen Tim Müller (links), Axel Behrens (Mitte) und Maria Wojtacha (vorne).

Der erste Tag – eine große Aufgabe beginnt

Um 9 Uhr ging es am nächsten Morgen los. In dem kleinen Laden in der aleja Ignacego Daszyńskiego 16, mitten im Zentrum Krakaus, herrschte pures Chaos: Hunderte Kartons, von denen man nicht wusste, was sich darin befand, stapelten sich entlang der Wände. „Da lagen knie- bis hüfthohe Haufen – vorwiegend Kleidung und Hygieneartikel.“, beschreibt Tim Müller die Lage vor Ort. Noch war nichts sortiert, obwohl die ersten ukrainischen Menschen schon vor dem Laden standen und zeitgleich immer neue Hilfsgüter eintrafen. Um etwas System in die Spendenverteilung zu bekommen, brauchte es dringend stabile Regale. Diese organisierten Julita und Axel in einem Baumarkt. Im Laden wurden sie anschließend sofort montiert. Auch einen Tresen aus Holz für den Eingangsbereich zimmerten die Helfer*innen in Windeseile zusammen. „Das Ganze musste bei laufendem Betrieb geschehen. Leicht vorstellbar, wie durcheinander es zeitweise zuging.“, erzählt Tim. Dennoch war die Stimmung unter den Freiwilligen gut. Alle packten mit an ohne groß zu fragen oder lange zu überlegen. Der Faktor Zeit war in dieser Situation entscheidend. Denn immer wieder hielten auf der Straße neue Transporter, die in Windeseile entladen wurden. Vorbeilaufende Passanten reihten sich spontan ein und halfen beim Ausladen und Tragen. Die Solidarität war riesengroß - genauso wie die Mengen an Sachspenden, die zu diesem Zeitpunkt überwiegend vom IB Nord, vom IB Berlin-Brandenburg und vom IB Mitte, später auch von der IB-Zentrale angeliefert wurden. Aber auch aus anderen europäischen Ländern, zum Beispiel Italien und Spanien, kamen große Lieferungen an.

››Cbaciba hörten wir am Tag hunderte Male – die Menschen waren sehr dankbar.‹‹

Durch die großartige Unterstützung vieler Volunteers standen bereits am Ende des zweiten Tages 38 Regale und der Großteil der Kartons war ausgeräumt: Kosmetika und Hygieneartikel für Frauen, Windeln für Babys und ältere Menschen, Babynahrung, Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol, aber auch Mund-Nasen-Masken und Desinfektionsmittel. Langsam wurde es etwas übersichtlicher, vor allem weil die Artikel nach Warengruppen sortiert in die Regale eingeräumt und in ukrainischer Sprache beschriftet worden waren. Der erste Karton, den Julita auspackte, kam aus Italien: „Ich kann kein Italienisch und verstand erst einmal nicht, worum es sich handelt. Mit einer Übersetzungs-App habe ich dann herausgefunden, dass es Medikamente sind, welche an die Krankenhäuser verteilt werden sollten“, schildert Julita die anfänglichen Schwierigkeiten.
Auch auf anderem Gebiet machte das Team neue Erfahrungen, zum Beispiel, dass sie keine ganzen Medikamentenpackungen ausgeben, sondern nur einzelne Blister, damit die Medizin für möglichst viele reicht. „Es gab auch Menschen, die mehrmals am Tag kamen und Spenden geholt haben.“, berichtet Julita. „Deshalb mussten wir rationieren, damit alle etwas bekommen.“ Aus diesem Grunde wurden Lebensmittel wie Buchweizen, Graupen, Reis, Nudeln und Tütensuppen von den freiwilligen Helfer*innen in bestimmten Mengen ausgegeben. Süßigkeiten gab es nur für die Kinder.

An den Bahnhöfen wurden die Menschen über die Spendensammelstellen informiert, auch die des IB Polska. Tausende kamen jeden Tag. Trotz der Rationierungen war alles ruckzuck weg und die Regale wieder leer. Viele Male am Tag füllten sie die Freiwilligen wieder auf. Die Menschen – Frauen, Kinder, Senior*innen – reihten sich still in die Schlangen und warteten. Ihre Blicke waren oft starr und leer. Besonders berührt haben Julita Wagner-Krawczyk „die alten Menschen, die Senioren“. Eine Ukrainerin ist ihr im Gedächtnis geblieben: „Eine Frau habe ich immer wieder vor Augen – sie hatte sich Sachen genommen und weinte die ganze Zeit.“
Den Menschen, herausgerissen aus ihrer Heimat, in der sie ihr bisheriges Leben und ihre Männer/Söhne/Väter zurücklassen mussten, sieht man die traumatischen Erlebnisse an. Trotzdem oder gerade deshalb waren sie auch froh, dass sie mit den Helferinnen und Helfern sprechen konnten – besonders in ihrer Landessprache. Glücklicherweise sprachen viele Volunteers Ukrainisch oder zumindest eine andere slawische Sprache wie Russisch oder Polnisch. Auch Julita konnte ihre Sprachkenntnisse nutzen. Die gebürtige Polin spricht neben Polnisch und Deutsch auch Englisch und Russisch. Alle Sprachen seien bei der Arbeit vor Ort sehr hilfreich gewesen – vor allem um zu beraten und über die überwiegend deutschen Produkte zu informieren.

Die folgenden Tage – das Team teilt sich auf

Am dritten Tag stand ein Wechsel an: Während sich Julita Wagner-Krawczyk und ihre Kollegin Slawa Wyrwicka weiter um die Geflüchteten und um die Verteilung der Spenden im Magasin kümmerten, verließen Tim Müller und Axel Behrens die aleja Ignacego Daszyńskiego und halfen fortan in der Plaza. Dabei handelt es sich um eine riesige Lagerhalle, in der ausschließlich Kleiderspenden gesammelt wurden. Die Lagerräume waren bis unter die Decke gefüllt. Und täglich kamen weitere kleine und große Transporter sowie Reisebusse vollgepackt mit Spenden an, die teils privat, teils von Institutionen und Organisationen gesammelt wurden. In der Plaza waren zirka 100 Volunteers im Einsatz: Warenannahme, Vorsortieren der Kleidungsstücke, Feinsortierung in Kinder- und Erwachsenenkleidung, in Pullover, Jacken und Hosen - alle arbeiteten Hand in Hand.

Lebensmittel und Medikamente verteilen die Freiwilligen und nur in bestimmten Mengen.
Die IB-Kolleginnen Slawa Wyrwicka (li.) und Julita Wagner-Krawczyk (re.) waren im Magasin tätig.

Besonders beeindruckend fand Tim Müller die Volunteers, die in Früh- und Spätschichten eingeteilt waren. Sie kamen nicht nur aus Polen, sondern aus verschiedenen Ländern: Norwegen, Spanien, England, Italien, Deutschland. Die Kosten für ihren Hilfseinsatz tragen fast alle selbst. "Ich traf einen Studenten, der sein Erspartes investiert hat, um den Flug und vor Ort einen Schlafplatz zu bezahlen. Es gab Mütter aus Norwegen, die ihren Urlaub nutzen, um hier zu helfen.", berichtet Tim. Auch die Einstellung der freiwilligen Helfer*innen begeisterte ihn, denn die Volunteers haben eine fröhliche, motivierende, kollegiale und produktive Stimmung geschaffen, was ein tolles Gemeinschaftsgefühl erzeugt hat. "Die Anerkennung gehört diesen Menschen aus aller Welt, die oft zwölf Stunden am Tag mit einem Lächeln im Gesicht angepackt haben.“, resümiert Tim.

Eine erlebnisreiche Woche geht zu Ende

Eine Woche lang arbeiteten die IB-Kollegen*Kolleginnen täglich zehn Stunden; Pausen wurden nur kurz zum Essen eingelegt. Kein Wunder, dass am Samstag alle erschöpft die Heimfahrt antraten. Während die Fahrt nach Krakau eine Woche zuvor noch sehr gesprächig verlief, waren die IB-Mitarbeiter*innen nun eher in sich gekehrt, reflektierten das Erlebte, holten etwas Schlaf nach. Das Besondere an dieser Hilfsaktion vor Ort war: „Wir waren richtig mittendrin, kamen mit den Menschen in Berührung und hatten die Leute vor Augen, das ist etwas ganz anderes“, erzählt Julita. Die Woche über habe sie sich sehr tapfer gehalten und war förmlich im Arbeitsrausch. Die körperliche und mentale Erschöpfung stellte sich dann am Sonntag ein, als Julita wieder Zuhause bei ihrer Familie war. Die ganze Anspannung der letzten Tage fiel von ihr ab und sie musste das Erlebte erst einmal verarbeiten. Tim gönnte sich hingegen keine Auszeit. Gleich am Sonntag war er schon wieder im Einsatz, um in den Berliner Messehallen zu unterstützen und die ankommenden Menschen zu informieren.
Für Julita war es der persönliche Einsatz wert, dort zu helfen, wo Hilfe ganz dringend gebraucht wird. Gleichzeitig relativiert sie: „Meine Hilfe war ein Tropfen im Ozean!“ – allerdings ein ganz besonders wertvoller.

 

Wir danken Julita Wagner-Krawczyk und Tim Müller, Slawa Wyrwicka und Axel Behrens, Maria Wojtacha und den Kollegen*Kolleginnen vom IB Polska sowie allen anderen freiwilligen Helfer*innen, die dazu beigetragen haben, den ukrainischen Menschen ein wenig Hoffnung und Hilfe in dieser schweren Zeit zu geben.

Unser Dank gilt auch Sebastian Nycz, der als Fotograf das Geschehen vor Ort dokumentiert und uns seine Fotos zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.

Anja Meyer

war als Referentin für Kommunikation und Marketing sowie als Pressesprecherin beim IB Berlin-Brandenburg tätig. In dieser Funktion kümmerte sie sich um die…

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